Seit 2015 stehen die Themen Migration und Asyl regelmäßig auf der Agenda diverser EU-Räte und Gipfeltreffen. Seit 2015 beschäftigen sich die EU-Institutionen dabei wie in einer Zeitschleife, die an den Hollywoodfilm "Und täglich grüßt das Murmeltier erinnert", mit immer wiederkehrenden Problemen und Herausforderungen der Flüchtlingsbewegungen in und um Europa. Eine Chronologie der Maßnahmen und Ankündigungen:
23. April 2015: Sterben im Mittelmeer
Nach den tragischen Ereignissen im Mittelmeer mit vielen ertrunkenen Flüchtlingen vereinbaren die Staats- und Regierungschefs der EU, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um zu verhindern, dass noch mehr Menschen auf See ums Leben kommen, und die eigentlichen Ursachen der irregulären Migration anzugehen. Vier Schwerpunktbereiche werden dabei beschlossen: Verstärkung der Präsenz auf See, Vorgehen gegen Schlepper, Verhinderung illegaler Migrationsströme, Verstärkung der internen Solidarität und Verantwortung.
13. Mai 2015: Europäische Migrationsagenda
Die Europäische Kommission verabschiedet eine Europäische Migrationsagenda. Darin wird hervorgehoben, dass die Migration besser gesteuert werden muss und dass dies gemeinsame Aufgabe ist. Maßnahmen in folgenden vier Bereichen werden beschlossen: Anreize für irreguläre Migration reduzieren, die Rettung von Menschen und die Sicherung der Außengrenzen, eine konsequente Asylpolitik, eine neue Politik für legale Migration.
26. Juni 2015: Europäischer Rat beschließt Maßnahmen
Die Staats- und Regierungschefs einigen sich auf eine Reihe von Maßnahmen: 40.000 Flüchtlinge sollen freiwillig umgesiedelt und weitere 20.000 neu in der EU angesiedelt werden, ebenfalls vereinbart werden Rückkehr und Rückübernahme sowie Zusammenarbeit mit Drittländern. Eine verpflichtende Flüchtlingsquote wird von den Visegrad-Staaten (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei) verhindert.
22. September 2015: Umverteilung von Flüchtlingen
Die EU-Innenminister beschließen mit Mehrheit gegen den Widerstand von Ungarn, Tschechien, Rumänien und Slowakei die Umverteilung von 120.000 Asylbewerbern in Europa. Klagen Ungarns und der Slowakei werden später vom EU-Gerichtshof abgewiesen. Tatsächlich umgesiedelt wurden laut EU-Kommission bis Juni 2018 21.999 Flüchtlinge aus Griechenland und 12.692 aus Italien, davon kommen 44 nach Österreich.
23. September 2015: Informelle Tagung der Staats- und Regierungschefs
Die Staats- und Regierungschefs verständigten sich auf eine Reihe von prioritären Maßnahmen: Deckung des dringendsten Bedarfs der Flüchtlinge durch Unterstützung des UNHCR, des Welternährungsprogramms, von Libanon, Jordanien, der Türkei und anderen Ländern. Unterstützung der Länder des westlichen Balkans bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme. Bekämpfung der Ursachen der irregulären Migration in Afrika. Bewältigung der Lage an den EU‐Außengrenzen. Unterstützung der Mitgliedstaaten an den Außengrenzen durch die Einrichtung von Registrierungszentren ("Hotspots") sowie Gewährleistung der Umsiedlung und Rückkehr bzw. Rückführung.
15. Oktober 2015: Aktionsplan EU-Türkei
Die Staats- und Regierungschefs einigen sich auf weitere Maßnahmen: Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern: die EU-Staaten begrüßen die Einigung über einen gemeinsamen Aktionsplan EU-Türkei und vereinbaren, auf dem bevorstehenden Gipfeltreffen in Valletta konkrete operative Maßnahmen festzulegen. Stärkung der Außengrenzen der EU: unter anderem durch ein integriertes Grenzmanagementsystem, das über das bestehende Mandat von Frontex hinausgeht, sowie den Einsatz von Hunderten zusätzlichen Grenzbeamten zur Sicherung der Registrierungszentren in Griechenland und Italien. Rückführung und Rückübernahme: verbesserte Umsetzung gemäß geltenden Rechtsvorschriften und Abkommen sowie Stärkung der Rolle von Frontex.
25. Oktober 2015: Tagung zur Westbalkan-Migrationsroute
Die Staats- und Regierungschefs von Albanien, Bulgarien, Deutschland, der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien, Griechenland, Kroatien, Österreich, Rumänien, Serbien, Slowenien und Ungarn vereinbaren einen 17‐Punkte‐Aktionsplan für eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Ländern entlang der Westbalkan-Migrationsroute zur Bekämpfung der Flüchtlingskrise.
12. November 2015: Migrationsgipfel in Valletta
Die Staats- und Regierungschefs der EU treffen sich mit ihren Amtskollegen aus afrikanischen Ländern, um Migrationsfragen zu erörtern. Sie vereinbaren einen fünf Prioritäten umfassenden Aktionsplan: Bekämpfung der Ursachen für irreguläre Migration und Vertreibung, bessere Förderung und Organisation legaler Migrationswege, mehr Schutz für Migranten und Asylbewerber, Bekämpfung der Ausbeutung und Schleppung von Migranten, Verbesserung der Zusammenarbeit bei der Rückführung, Rückübernahme und Wiedereingliederung. Die Regierungschefs beraten zugleich über Wege, die Umsetzung bereits beschlossener Maßnahmen zu beschleunigen. Im Mittelpunkt steht dabei insbesondere die Zusammenarbeit mit der Türkei.
29. November 2015: Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs mit der Türkei
Die EU und die Türkei vereinbaren einen gemeinsamen Aktionsplan für die Bewältigung der durch die Lage in Syrien entstandenen Flüchtlingskrise. Die EU und ihre Mitgliedstaaten verstärken ihr politisches und finanzielles Engagement, um den Migrationsstrom, der über die Türkei in die EU gelangt, einzudämmen. Die EU verpflichtet sich, zunächst zusätzliche Mittel in Höhe von 3 Mrd. Euro bereitzustellen, um der Türkei dabei zu helfen, die Lage der syrischen Flüchtlinge in der Türkei zu verbessern. Im Aktionsplan ist auch ein Rückübernahmeabkommen EU-Türkei vorgesehen. Die EU und die Türkei wollen zudem den Prozess der Visa-Liberalisierung für türkische Staatsangehörige zum Abschluss bringen.
17. Dezember 2015: "Hotspots" und Stärkung der Außengrenzen
Der Europäische Rat vereinbart beschleunigte Maßnahmen in folgenden Bereichen: der Betrieb von Hotspots, die Umsetzung der Umsiedlungsbeschlüsse sowie die Durchsetzung von Rückkehr bzw. Rückführung, die Kontrolle der EU-Außengrenzen, die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern. Ein Vorschlag der EU-Kommission zur Stärkung der EU-Außengrenzen soll rasch geprüft werden.
18. Februar 2016: Schlussfolgerungen zur Migrationskrise
Die Staats- und Regierungschefs nehmen Schlussfolgerungen zur Migrationskrise an. Darin betonen sie insbesondere, dass in der Migrationsfrage ein europäischer Konsens zu finden ist und die bereits gefassten Beschlüsse umzusetzen sind. Speziell in folgenden Punkten müssten Fortschritte erzielt werden: Umsetzung des Aktionsplans EU-Türkei, humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im westlichen Balkan, volle Funktionsfähigkeit der Hotspots, Umsetzung der Beschlüsse über Umsiedlung, Rückkehr/Rückführung und Rückübernahme, verbessertes Management der Außengrenzen, Wiederherstellung eines normal funktionierenden Schengen-Raums.
7. März 2016: Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs mit der Türkei
Die EU-Führungsspitzen treffen mit Vertretern der Türkei zusammen und beraten über eine Verstärkung der Zusammenarbeit in der Migrationskrise. Die EU drängt dabei auf eine vollständige und rasche Umsetzung des Aktionsplan EU-Türkei sowie eine Verringerung der illegalen Einreisen aus der Türkei nach Griechenland.
18. März 2016: Flüchtlingspakt mit der Türkei
Die 28 EU-Staaten schließen einen Flüchtlingspakt mit der Türkei. Alle in Griechenland illegal eingereisten Flüchtlinge, die dort kein Asyl beantragen oder deren Antrag abgelehnt wird, werden in die Türkei zurückgeschickt. Im Gegenzug verpflichtet sich die EU, für jeden abgeschobenen Syrer einen syrischen Flüchtling aus der Türkei auf legalem Wege aufnehmen.
12. Mai 2016: Kontrollen an Binnengrenzen des Schengen-Raums
Der Rat nimmt einen Durchführungsbeschluss mit einer Empfehlung an, wonach zeitlich befristete Kontrollen an den Binnengrenzen unter außergewöhnlichen Umständen beibehalten werden können. Österreich, Deutschland, Dänemark, Schweden und Norwegen dürfen für einen Zeitraum von höchstens sechs Monaten weiterhin verhältnismäßige, vorübergehende Grenzkontrollen durchführen.
14. September 2017: Europäische Grenz- und Küstenwache
Der Rat billigt endgültig die Europäische Grenz- und Küstenwache. Ihre Hauptaufgabe soll darin bestehen, zu einem integrierten Grenzmanagement an den EU-Außengrenzen beizutragen und eine wirksame Steuerung der Migrationsströme und ein hohes Maß an Sicherheit für die EU zu gewährleisten.
6. Oktober 2016: Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache
Die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) nimmt offiziell ihre Arbeit auf. Die Grenzschutzagentur soll die EU-Außengrenzen überwachen und dabei eng mit den Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, um potenzielle Sicherheitsbedrohungen rasch zu erkennen und abzuwehren.
7. Dezember 2016: Systematische Kontrollen an Außengrenzen
EU-Rat und EU-Parlament einigen sich auf systematische Kontrollen an den Außengrenzen. Eine Änderung im Schengener Grenzkodex sieht den verstärkten Abgleich mit einschlägigen Datenbanken an den Außengrenzen vor.
3. Februar 2017: Zusammenarbeit mit Libyen
Auf einer informellen Tagung nehmen die EU-Führungsspitzen die Erklärung von Malta an, in der Maßnahmen zur Eindämmung des Zustroms von Migranten über die zentrale Mittelmeerroute und zur Zerschlagung des Geschäftsmodells der Schlepperei angekündigt werden. Die 28 Staats- und Regierungschefs kommen insbesondere überein, die Zusammenarbeit mit Libyen zu verstärken. Über den nordafrikanischen Staat sind 2016 etwa 90 Prozent der Migranten ausgereist.
23. Juni 2017: Zentrale Mittelmeerroute
Die EU-Führungsspitzen fordern bei einem EU-Gipfel weitere Maßnahmen, um den Zustrom von Migranten aus Libyen nach Italien auf der zentralen Mittelmeerroute einzudämmen. Stoßrichtung: mehr Ausbildung und Ausrüstung für die libysche Küstenwache, eine engere Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern, weitere Anstrengungen zur Erhöhung der Zahl der Rückkehrer. Die Staats- und Regierungschefs erklären, dass es dringend der Einführung von Rückübernahmeabkommen mit Drittländern bedarf. Darüber hinaus brauche es eine Refom des Gemeinsamen Asylsystems.
19. Oktober 2017: Schließung der zentralen Mittelmeerroute
Die Führungsspitzen der EU vereinbaren eine stärkere Unterstützung der Zusammenarbeit Italiens mit Libyen sowie eine angemessene Finanzierung von migrationsbezogenen Projekten in Nordafrika. Die Staats- und Regierungschefs bekennen sich ferner dazu, auf ihrem Gipfeltreffen im Dezember die Gespräche über die Reform des Dublin-Systems mit dem Ziel fortzusetzen, im ersten Halbjahr 2018 einen Konsens zu erzielen.
14./15. Dezember 2017: EU-Gipfel überprüft Migrationspolitik
Der Europäische Rat führte eine Aussprache über die externe und interne Dimension der Migrationspolitik der EU. Die Staats- und Regierungschefs prüfen, was in den vergangenen zwei Jahren funktioniert hat, was nicht, und wie die diesbezügliche Politik gestärkt werden kann, und sie erneuern ihre Absicht, bis Juni 2018 eine Einigung über die Reform des Dublin-Systems im Konsens herbeizuführen.
5. Juni 2018: Innenminister beraten Reform der Asylpolitik
Die Reform der EU-Asylpolitik und der Dublin-Verordnung bleibt wegen des Streits um eine Flüchtlingsverteilung festgefahren. Beim EU-Innenministerrat kann keine Einigung erzielt werden. Somit müssen sich die EU-Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel am 28./29. Juni mit dem weiteren Vorgehen befassen.
29. Juni 2018: EU-Chefs verschärfen Asylpolitik
Die Staats- und Regierungschefs verständigen sich bei einem Gipfel auf einen besseren Grenzschutz, schnellere Rückführungen sowie die Schaffung von Flüchtlingszentren in Staaten außerhalb der EU. Flüchtlinge sollen künftig im Mittelmeer abgefangen und in sogenannte Anlandeplattformen nach Nordafrika zurückgebracht werden. Von der Migration besonders betroffene Staaten wie Italien, Griechenland oder Spanien sollen - auf freiwilliger Basis - entlastet werden. Damit ist das umstrittene Quotensystem faktisch Geschichte. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), dessen Land am 1. Juli den EU-Ratsvorsitz übernimmt, begrüßt die Beschlüsse als "Trendwende" in der EU-Migrationspolitik.
2./3. Juli: EU-Vorsitzland Österreich bringt Ende von Asylanträgen in Europa ins Spiel
Unmittelbar nach Übernahme des Ratsvorsitzes bringt das FPÖ-geführte Innenministerium in einem offiziellen Papier für die Ratsarbeitsgruppe COSI die Abschaffung von Asylanträgen auf EU-Territorium ins Spiel. Diese sollen nur noch gestellt werden können, "wenn Schutzsuchende aus direkten Nachbarstaaten kommen oder wenn keine Schutzmöglichkeiten zwischen der EU und dem Herkunftsland vorhanden sind". Experten bezweifeln die Völkerrechtskonformität des Plans. Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) hält daran fest, spricht aber von einem mittel- und langfristigen Ziel.
13. September 2018: EU-Kommission stellt "allumfassende" Migrationsstrategie vor: Frontex-Aufstockung, aber keine Camps
In Umsetzung der EU-Gipfelbeschlüsse stellt EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos ein Paket mit Gesetzesvorschlägen vor. Schon 2020 soll die EU-Grenzschutzagentur Frontex auf 10.000 Personen aufgestockt und zu einer "wirklichen Grenzschutzpolizei" werden. Die Mindestdauer der Abschiebehaft soll europaweit auf drei Monate erhöht werden, auch ist ein "vereinfachtes Verfahren" mit kürzeren Einspruchsfristen für Asylbewerber geben, deren Anträge bereits an der Grenze abgelehnt wurden. Als praktisch nicht umsetzbar bezeichnet Avramopoulos die umstrittenen Anlandeplattformen in Afrika, was ihm scharfe Kritik vom amtierenden EU-Ratsvorsitzenden Kickl einträgt. Dieser schlägt tags darauf am Rande eines EU-Afrika-Treffens in Wien Asyl-Schnellprüfungen an Bord von Rettungsschiffen im Mittelmeer vor.