Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht hat vor einer Verrohung der Gesellschaft in Deutschland gewarnt. "Die Ereignisse in Chemnitz haben gezeigt, dass es so nicht weitergehen kann", sagte Wagenknecht in Berlin bei der Vorstellung der Sammlungsbewegung "Aufstehen". "Deutschland verändert sich in eine Richtung, die viele Menschen nicht wollen."

Das Klima werde rauer, es werde teilweise aggressiver, und "der Zusammenhalt geht verloren", beklagte Wagenknecht und sprach von einer "handfesten Krise der Demokratie". Dies liege vor allem daran, dass nicht alle Menschen vom wirtschaftlichen Wohlstand des Landes profitierten. Die Wut, die sich aufstaue, bildet dann den Nährboden für Hass und Gewalt.

Die linke Sammlungsbewegung hat zum offiziellen Start mehr als 100.000 Unterstützer registriert. Wagenknecht sagte, dass sich seit Anfang August 101.741 Menschen online angemeldet hätten. Damit seien die Erwartungen übertroffen worden, betonte die Fraktionschefin der Linken im Deutschen Bundestag. Die Bewegung habe mehr als 80 Initiatoren, darunter Politiker von Linkspartei, Grünen und SPD, viele Schriftsteller, Künstler und Professoren, erläuterte Wagenknecht. 

"Ich bin wirklich beeindruckt, wie viele Menschen sich gemeldet haben", sagte Wagenknecht, die als Hauptgrund für die Gründung ihrer Bewegung "eine handfeste Krise der Demokratie" nannte. Wenn nicht gegengesteuert werde, "dann wird dieses Land in fünf oder zehn Jahren nicht wiederzuerkennen sein". Sie sei es leid, betonte Wagenknecht, "die Straße Pegida und den Rechten zu überlassen".

Wagenknecht stellte die Sammlungsbewegung unter anderen zusammen mit dem ehemaligen Grünen-Chef Ludger Volmer und der Flensburger SPD-Oberbürgermeisterin Simone Lange vor. Ziel ist es, linke Wähler zu erreichen, die sich von den klassischen Parteien abgewendet haben, und neue Mehrheiten zu erreichen. Langfristig soll es auch zu Regierungsbeteiligungen kommen. "Ich möchte nicht auf Dauer Oppositionspolitik machen", sagte Wagenknecht.

Skepsis bei Grünen und SPD

Die Spitzen von Linken, SPD und Grünen sehen die neue Sammlungsbewegung skeptisch. Sie fürchten, dass die politische Linke dadurch zusätzlich gespalten werden könnte.

Wagenknecht äußerte die Hoffnung, dass sich trotz der parteiintenen Kritik an ihrer Initiative auch Anhänger der Linken anschließen werden. Es habe sich in der Partei "ein Umdenken vollzogen". Viele sähen inzwischen, dass die Initiative die Anliegen der Partei unterstütze.

Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch begrüßte die Bewegung. Es gebe einen Kulturkampf von rechts, sagte Bartsch am Dienstag im SWR-"Tagesgespräch". Da sei ihm jede Idee, die etwas dagegen tue, willkommen. Der Titel sei klug gewählt, fügte Bartsch hinzu. Er stehe für die Stärkung der Linken und wenn dieses Projekt dabei helfe, sei das nur gut. "Die Linke zeigt an vielen Stellen, wie aktiv wir sind", betonte Bartsch.

Widerstand auch in der eigenen Partei

Linken-Parteichefin Katja Kipping hat erst am vergangenen Wochenende erklärt, sie werde sich "Aufstehen" nicht anschließen. Viele Linke werfen Wagenknecht vor, mit Forderungen nach einer Begrenzung der Zuwanderung Themen der AfD zu bedienen. Diese Kritik wird auch von SPD und Grünen geteilt, deren Wähler Wagenkecht ansprechen will. So hat ihr etwa die Ex-Grünenvorsitzende Claudia Roth vorgeworfen, Schwache gegen Schwache auszuspielen.

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe hingegen, es brauche "ernsthafte Gespräche über ein progressives rot-rot-grünes Bündnis, statt Internetseiten ohne politische Konsequenz". "Was Wagenknecht und (ihr Mann Oskar; Anm.) Lafontaine da machen, ist keine Bewegung, sondern ein Machtkampf innerhalb der Linkspartei", meinte Klingbeil.

Die Partei Die Linke, der Wagenknecht angehört, war aus der früheren DDR-Staatspartei SED und westdeutschen linken Gruppen hervorgegangen. Bei der Bundestagswahl 2017 holte sie 9,2 Prozent der Stimmen. In Ostdeutschland stellt sie einen Ministerpräsidenten und ist an zwei weiteren Landesregierungen beteiligt.