Außenministerin Karin Kneissl spricht sich für eine rasche Erweiterung der Europäischen Union um die Staaten Südosteuropas aus. Unter anderem auch, um dem wachsenden Einfluss Chinas und der Türkei in der Region entgegenzuhalten.
China fülle hier ein "Vakuum", befindet Kneissl im Gespräch mit der APA. "Man sollte auch auf europäischer Seite aufmerksam sein, inwieweit China nicht nur als Investor, sondern als politischer Akteur immer stärker tätig wird", betonte sie. "Wir haben hier eine chinesische Involvierung in Infrastrukturprojekte, die gewaltig ist." Kneissl verwies auf die chinesische Strategie bei Häfen oder Brücken wie jene in Süddalmatien, die das kroatische Festland mit der Halbinsel Peljesac verbinden soll und für die sich auch die Strabag beworben hatte. Kneissl: Bei Nichtrückzahlung von Krediten erwirbt der chinesische Staat "im weitesten Sinne Eigentum an diesen Projekten".
Darüber hinaus sei die Türkei "ein ganz, ganz wesentlicher Faktor geworden in Bosnien-Herzegowina, in Albanien", und auch Russland sowie die Golfstaaten werden "stark genannt". Das Engagement der arabischen Investoren hat für Kneissl allerdings "weniger politische Implikation".
"Geopolitische Notwendigkeit"
Angesichts dieser Einflussnahmen plädiert die Außenministerin für eine rasche EU-Erweiterung um Südosteuropa. Mit den diesbezüglich zurückhaltenden EU-Ländern spreche sie. Sie rufe ihren "französischen und niederländischen Kollegen in Erinnerung, dass es die Notwendigkeit gibt, zu handeln", so Kneissl. "Ich sage, ja, ich verstehe eure Bedenken, ich verstehe eure Skepsis." Auch vor dem Hintergrund der Europawahlen im Frühling sei verständlich, dass "man jetzt nicht unbedingt antreten möchte mit der Idee: And by the way, wir holen noch mehr Länder hinein und Länder, die Empfänger für EU-Förderungen sind. Das ist verständlich und nachvollziehbar", sagte Kneissl: "Aber mein großes Gegenargument ist: Achtung, da gibt es eine geopolitische Notwendigkeit."
Ihrerseits Zurückhaltung legte Kneissl in Bezug auf die Mazedonien-Namensfrage an den Tag. Sie lobte die "couragierte Diplomatie", den "Mut" der Verhandler in dem 28 Jahre schwelenden Streit zwischen Mazedonien und dem EU-Staat Griechenland und verwies auf große Widerstände etwa vonseiten des mazedonischen Präsidenten Gjorge Ivanov oder in der nordgriechischen Provinz Makedonien. Kneissl "möchte noch nicht darüber nachdenken, was passiert", wenn die Einigung auf den Namen "Nordmazedonien" beim geplanten Referendum in Mazedonien oder im Parlament scheitern sollte.
"Ich würde mich auch nicht in irgendeiner Weise einmischen, weil ich denke, das ist eine ausschließlich innerstaatliche Angelegenheit." Angesprochen auf die Mazedonien-Reise von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zur Unterstützung der Namenseinigung kurz vor dem Referendum sagte Kneissl zurückhaltend: "Mein Standpunkt ist, das ist eine absolut innerstaatliche Entscheidung."
"Wenn man jetzt in Brüssel anruft: Es ist niemand da"
Nicht einmischen "in innerstaatliche Angelegenheiten" wollte sich Kneissl auch im Hinblick auf die Idee des serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic bezüglich einer Abspaltung des serbischen Nordteils des Kosovo. Allgemein gesprochen meinte sie aber: "Was Territorialaufteilung anbelangt, da ist meine Haltung eine sehr, sehr vorsichtige, um nicht zu sagen, eine skeptische." Territorialfragen im weiten Stil neu aufzurollen "würde wahrscheinlich sehr, sehr viel aufmachen", so Kneissl, die darauf verwies, dass sie das Wort "Westbalkan" meide. Denn: "Balkanisierung bedeutet Zerfall."
Die sechs südosteuropäischen Außenminister sowie der türkische Amtskollege Melvüt Cavusoglu wurden zum Gymnich nach Wien eingeladen. Das hatte Kneissl vorgeschlagen. "Wir haben versucht, uns mit ein paar Themen einzubringen. Das ist mir nicht in dem Maße gelungen, wie ich das vorgehabt hatte." Österreich habe nur die Gastgeberrolle im Ministerrat, den Vorsitz führe die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Kneissl habe unlängst vergeblich versucht, Mogherini zu erreichen. "Wenn man jetzt in Brüssel anruft: Es ist niemand da - das ist irre", meinte sie, die nun selbst vor ihrer Hochzeit am 18. August ein paar Tage auf Urlaub ist, aber nach eigenen Angaben erreichbar.