Man stelle sich vor, was ohnehin nicht gar so unwahrscheinlich ist: Wladimir Putin hat tatsächlich, wie die US-Geheimdienste einhellig behaupten, Donald Trump 2016 mittels Hackerangriffen zum Wahlsieg verholfen. Dann können der Kreml-Chef und der US-Präsident morgen einander beim öffentlichen Schmettern zusehen. Beide werden jegliche Verstrickung miteinander bestreiten und böse Konspirationen rund um ihre Person beklagen.

Ob der Vorwurf stimmt, werden die Nachforschungen von Sonderermittler Robert Mueller eines Tages ans Licht bringen. Putin und Trump werden morgen in jedem Fall eine ordentliche Show hinlegen. Dem US-Präsidenten kommt das erste offizielle Gipfeltreffen mit dem Kreml-Chef äußerst gelegen. Zwar wagt niemand zu prognostizieren, wie der Gipfel ausgehen wird. In den großen Streitfragen Ukraine-Krise und Syrien sind die Fronten völlig verfahren.

Angst vor Zugeständnissen

Doch Trump kann den Europäern, die nicht so hüpfen, wie er es gerne hätte, mit einem flotten Kasatschok mit Putin auf der Nase herumtanzen. Viele fürchten, er könnte dem Kreml-Chef zu viele Zugeständnisse machen, etwa mit einem Ende der US-Militärübungen zum Schutz der Balten. Putin, der viel investiert, um den Westen zu spalten, konnte sich zuletzt schon am offenen Streit in der Nato ergötzen; dass er nun mit Trump auf Augenhöhe konferiert, ist an sich schon ein Erfolg.

Durchschaubar ist das Verhältnis der beiden Alphamänner kaum. Sind sie Freunde, sind sie Feinde? Lange Zeit schien Trump Putin nur mit Glacéhandschuhen anzufassen. Attackierte er in seinen Tweets den chinesischen Staatschef, dann wieder die deutsche Kanzlerin, hielt Trump für Putin lange Zeit nur Lob bereit: Im Wahlkampf 2016 bezeichnete er den russischen Präsidenten als großen Staatsmann. „Ich habe immer gewusst, dass Putin sehr klug ist“, tönte Trump. Auch der Kreml machte aus seiner Begeisterung für den Immobilienmogul lange kein Geheimnis: 2015, als Trump sich um die Präsidentschaft bewarb, bezeichnete Putin ihn in seiner Jahrespressekonferenz als „schillernden und äußerst talentierten Menschen“. Und im Vorjahr verteidigte Putin seinen Amtskollegen im Weißen Haus: Die mittlerweile belegten Treffen zwischen Vertretern Moskaus und Trumps Wahlkampfteam seien eine Routineangelegenheit und die Vorwürfe allesamt Erfindungen, die Trumps Arbeit in Zweifel ziehen sollen.

"Bromance"

US-Medien sahen trotz der geopolitischen und wirtschaftspolitischen Rivalität bereits eine neue „Bromance“, eine Männerfreundschaft zwischen Ost und West am Horizont - bis sich die Lage plötzlich drehte. Als Syriens Assad mutmaßlich Giftgas gegen die eigene Bevölkerung einsetzte, warnte Trump Russland, das den syrischen Diktator unterstützt, per Twitter vor amerikanischen Raketen. Trump sprach auf einmal von einem „sehr schlechten Verhältnis“ zu Russland. Ein Schelm, wer denkt, die immer hartnäckigeren Ermittlungen zur Wahlkampf-Affäre könnten den Schwenk ausgelöst haben. Zu viel sichtbare Nähe kann Trump sich innenpolitisch nicht mehr leisten.

Dabei haben die zwei Macho-Präsidenten weit mehr gemeinsam, als sie trennt. Trumps oberste Doktrin „America First“ verfolgt Putin mit umgekehrten Vorzeichen schon längst. Russland wieder zur Supermacht zu machen, ist seit Jahren das identitätsstiftende Motiv, mit dem er die Seinen erfolgreich hinter sich schart. Internationale Zusammenarbeit? Eine kooperative Weltordnung, wie die Europäer sie anstreben? Fehlanzeige. Trump und Putin sind eher in der Realpolitik des vorvorigen Jahrhunderts verwurzelt.

Beide haben keine Berührungsängste mit den Diktatoren dieser Welt und zeigen selbst nur mäßige Leidenschaft für demokratische Standards. Trump sind die Gewaltentrennung, die Ermittlungen der Justiz wie die Einsprüche des Kongresses sichtlich lästig; Medien, die ihn nicht bejubeln, diffamiert er systematisch. Putin hat's da leichter. Parlament und Medien sind längst unter seiner Kontrolle. Von einer unabhängigen Justiz, die es wagen würde, gegen den Präsidenten zu ermitteln, ist Russland weit entfernt.

Humanistische Werte nicht auf Agenda

Beide Präsidenten regieren großteils ideologiefrei. Humanistische Werte oder die Verbreitung der Menschenrechte stehen definitiv nicht auf der Agenda. Was zählt, sind Machtinteressen: Putin setzt sie bei Bedarf gern militärisch durch; Trump versucht sich derzeit mit viel Verve im globalen Handelskrieg. Beide lieben die Inszenierung. Putin am liebsten mit nacktem Oberkörper; Trump hatte bekanntlich seine eigene Fernsehshow und zeigt sich gerne mit schönen Frauen an seiner Seite. In diesem Punkt unterscheiden sich die beiden zugleich deutlich: Trump schlittert von einem Sex-Skandal in den nächsten; Putin hält unter der Decke, was unter der Decke zu bleiben hat. Trump bestreitet Affären; Putin lässt grüne Männchen auf der Krim aufmarschieren und bestreitet deren Existenz. Selbstkontrolle - auch verbale - zählt für Russen zu den obersten Tugenden eines Kreml-Chefs. Morgendliche Wort-Diarrhö via Twitter, wie Trump sie praktiziert, wie auch sprunghafte Positionsveränderungen sind Putins Sache nicht.

Militärisch, so berichten Insider aus dem Weißen Haus, nimmt Trump Putin nicht wirklich ernst. 2017 investierte Russland 56,4 Milliarden Euro in seine Verteidigung. Den USA war die Rüstung 519 Milliarden Euro wert. Zugleich munkeln Trumps Gegner in Washington, der Präsident sei erpressbar - nicht nur wegen der Wahlkampf-Affäre, sondern auch weil die Kreml-Leute über kompromittierendes Material von Trumps Sex-Feiern in Moskau verfügen könnten.

Der Gipfel in Helsinki wird eine Gratwanderung - wie nah sich die zwei dabei kommen, wird wohl von Trumps Laune abhängen.