Für den verfassungsrechtlichen Berater von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Ludwig Adamovich, bestehen keine verfassungsrechtlichen Einwände gegen die Absicht des Bundespräsidenten, die Ratifikation von CETA aufzuschieben, bis das von Belgien beantragte Gutachten des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vorliegt.
Im konkreten Fall gehe es nicht darum, dass der Bundespräsident die Ratifikation überhaupt verweigern will, sondern, dass er vielmehr das von Belgien beantragte Gutachten des EuGH abwarten und bei positiver Beurteilung das Abkommen ratifizieren will, betont der frühere Präsident des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) in seinem von der Präsidentschaftskanzlei veröffentlichten Gutachten betreffend des Aufschubs der Ratifikation von CETA.
Gibt EuGH grünes Licht wird unterschrieben
Laut Adamovich hat der Bundespräsident aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung vom 16. Mai 2018 die Wahl, die Ratifikation vorzunehmen oder zu verweigern. "Der Bundespräsident will aber das Gutachten des Europäischen Gerichtshofes abwarten. Im Falle eines positiven Urteils wird er die Ratifikation vornehmen; im Fall eines negativen Gutachtens muss der Vertrag neu verhandelt werden."
Belgien hat demnach den EuGH um eine Antwort auf die folgende Frage ersucht: "Ist das am 30. Oktober 2016 in Brüssel unterzeichnete umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten andererseits in seinem Kapitel Acht ("Investitionen") Abschnitt F ("Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Investoren und Staaten") mit den Verträgen - einschließlich der Grundrechte - vereinbar?"
Abänderung der Verträge?
Dem EuGH komme entscheidende Bedeutung zu: "Ist das Gutachten des Gerichtshofes ablehnend, so kann die geplante Übereinkunft nur in Kraft treten, wenn sie oder die Verträge geändert werden". Das Gutachten wirke also nicht nur zwischen den Prozessparteien, sondern habe allgemein bindende Wirkung im Bereich der gesamten Europäischen Union.
Somit stünden beim Aufschub der Ratifikation durch den Bundespräsidenten keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen und es liege auch kein Widerspruch zum Standpunkt des Verfassungsexperten Theo Öhlinger vor, der die Auffassung für möglich halte, dass der Akt der Ratifikation (Notifikation) von Staatsverträgen nicht anders zu sehen sei, wie die dem Bundespräsidenten obliegende Aufgabe zur Beurkundung des verfassungsmäßigen Zustandekommens eines Bundesgesetzes.
Heikles Zusammenspiel: Präsident und Parlament
"Sieht man die Problematik so, dann steht es nicht im Ermessen des Bundespräsidenten, die Ratifikation vorzunehmen oder nicht, ebenso wenig wie ihm bei der Beurkundung des verfassungsmäßigen Zustandekommens eines Bundesgesetzes ein Ermessen zukommt", hält Adamovich fest. Öhlinger räume aber selbst ein, dass es Fälle geben könne, die den Bundespräsidenten zur Verweigerung der Ratifikation berechtigten, wie bei gewichtigen außenpolitischen Gründen.
"Ohne Zweifel sind schon aus historischen Gründen alle Probleme äußerst heikel, die das Zusammenspiel von Bundespräsident und Parlament betreffen. Die vorgeschlagene Lösung vermeidet eine solche Auseinandersetzung", so Adamovich.