Eine Antwort von FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian StracheMittwoch Abend in der ZiB 2 ließ tief blicken. Armin Wolf hatte nicht locker gelassen und gefragt, wohin denn Flüchtlinge, die von einem Lager außerhalb der EU aus Asyl beantragen wollen, verteilt werden sollen, wenn ihr Asylantrag positiv beschieden wird. Vereinbarungen dieser Art seien ja bisher schon nicht zustande gekommen.
Dazu Strache: Man müsse die Ideen und Pläne erst in ihrer Gesamtsicht bewerten. Ob von diesen Lagern aus überhaupt noch Asylanträge in Europa möglich sein werden. Oder nur Asyl innerhalb des afrikanischen (oder asiatischen) Kontinents.
Damit liegen die Fronten blank.
Was wollen Kurz und Strache wirklich? Und warum ist das so gefährlich für Europa?
Eigentlich wollen sie, und mit ihnen Ungarn, Polen, Tschechien, die Slowakei und neuerdings Bayern, dass Flüchtlinge überhaupt nicht mehr nach Europa kommen. In riesigen Lagern, am besten jenseits von Meeren, sollen sie auf Kosten anderer Staaten untergebracht, in Länder anderer Kontinente verschoben werden.
Das bedeutet:
Die reichsten Länder dieser Welt schotten sich - wie Trump mit seinem Zaun gegen Mexiko - gegen den Rest des Universums ab. Mit allen Konsequenzen: Hohe Mauern, Waffengewalt, Abschied vom Menschenrecht auf Asyl (das nur noch außerhalb Europas, von Ländern außerhalb dieses Kontinents gewährt werden soll).
Wie kann das funktionieren? Indem Europa sich die Befreiung von dem, was es nicht sehen will, erkauft: Kein nordafrikanisches Land, um dieses Beispiel zu wählen, weil im Raum Afrika derzeit die größten Wanderungsbewegungen festzustellen sind, will diese Zentren, aber das reiche Europa wird sie erpressen. Nur Bares ist Wahres. Wer zahlt, schafft an. Im günstigsten Fall werden die Regierungen von Libyen, Tunesien & Co, das Geld in die Wirtschaft ihres Landes investieren. Im ungünstigsten in die eigenen Taschen stecken.
Was deklariertermaßen nicht stattfinden soll, ist ein echtes staatlich-europäisches Investment in die Entwicklung der Wirtschaft der Länder auf dem afrikanischen Kontinent. Das hat nicht zuletzt Kanzler Kurz mehrfach unmissverständlich klar gelegt, nicht zuletzt im Wahlkampf bei einer Veranstaltung der Kleinen Zeitung: Afrikanische Länder seien korrupt, das Hochziehen von deren Wirtschaft aussichtslos, eine Bevorzugung im internationalen Wettbewerb zum Nachteil unserer eigenen Wirtschaft unerwünscht. Aber man werde selbstverständlich Entwicklungshilfeprojekte unterstützen, weil man sich dazu menschlich verpflichtet fühle. Almosen statt Hilfe zur Selbsthilfe oder Marshallplan.
Die Menschen werden dennoch aufbrechen, weil man ihnen keine Perspektive gibt. Die Endstation Lager, ohne Aussicht auf Ausbildung, auf Beruf, auf eigenständige Existenz, und das auf Lebenszeit, ist keine Perspektive. Anstatt die illegale Zuwanderung abzuschaffen, wie Kurz und Strache es auf ihre Fahnen schreiben, wird diese geradezu institutionalisiert: Verfolgte werden künftig nämlich ausschließlich per Schlepper (früher bezeichnete man so etwas übrigens mit dem positiv besetzten Wort "Fluchthelfer") die Grenzen ins gelobte Land überwinden.
Diesseits der Mauern und Zäune wird man sie gnadenlos jagen und mit aller Gewalt zurückdrängen, dorthin, woher sie kamen. Die Länder im Zentralraum werden die Hände in Unschuld waschen und noch einmal zahlen: An jene Länder, die ganz außen liegen, dafür, dass die dort Anhaltelager errichten, im Wissen darum, dass diese Länder in ihrer Not ein "Asylrecht" leben werden, das keines ist: Asylverfahren negativ bescheiden, ohne Ansehen von Genfer Konvention oder Fürsorgepflicht für Menschen, denen Gefahr droht an Leib und Leben. Europa hat sich in den vergangenen Jahren nur eines bewiesen: Dass es unfähig dazu ist, sich auf ein einheitliches, der Genfer Konvention entsprechendes Asylrecht zu verstehen, dass es unwillig ist, Menschen, denen nicht abzusprechen ist, dass sie verfolgt sind, aufzunehmen und innerhalb des Kontinents zu verteilen.
Wenn Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Donnerstag am Treffen der vier Visegrad-Staaten teilnimmt, so hat er es mit einem Staatenbündnis zu tun, das nicht in allen außen- und europapolitischen Fragen an einem Strang zieht. In der Flüchtlingspolitik treten sie aber meist gemeinsam auf. Hier haben sie in Österreich einen Verbündeten gefunden.
Die Visegrad Vier, auch V4 genannt, sind nicht unumstritten. In Brüsseler Diplomatenkreisen gilt dieses lose Kooperationsforum aus Ungarn, Polen, Tschechien und der Slowakei als "Schmuddeleck". Der Luxemburger Außenminister Jean Asselborn sprach von einem "Verein der Abtrünnigen". Visegrad sei "ein Symbol, gegen alles zu sein", sagte der tschechische Politologe Jiri Pehe.
Gegen unerwünschte Personen aus anderen Teilen der Welt. Vor allem aber auch gegen all das, was wir bisher als Kitt empfunden haben zwischen Menschen und Nationen, als Konvolut "gemeinsamer Werte", unter denen wir nicht Egoismus, Eigennutz und Angriff verstanden haben, sondern Gemeinwohl, Toleranz und Ausgleich, geprägt von einer christlichen Tradition.
Dem Eigennutz wird der Humanismus und christliche Werte zum Opfer gebracht. Im Ritt auf einer Welle von Emotionen, der nicht mehr als vorübergehende Wahlkampferscheinung sondern als dauerhafte Interpretation vom Wesen der Politik verstanden wird, werden Lanze und Schwert geführt gegen jene, die wie Asselborn oder Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel das Fähnlein der Aufrechten hochhalten, um einen Schutzwall um Zivilisation und Aufklärung zu ziehen.
Europa wird daran zerbrechen.
Und eine Politik, die ihre Bestimmung nicht mehr im Ausgleich sieht sondern in der Spaltung, wird daran scheitern, die, sich innerhalb des Zaunes geschützt wähnen, vor einer Spaltung in sich zu bewahren und in eine gute Zukunft zu führen. Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Wer die Spaltung zum Prinzip erhebt, wird sich in sich neu auftuenden Klüften verlieren.
Und die Alternative?
- Außengrenzen schützen, ja, in der Tat.
- Daten und Identitäten registrieren, ja, in der Tat.
- Das Asylverfahren vereinheitlichen, sodass in ganz Europa nach einem Recht und mit einer Stimme über Verfolgung und Schutzbedürfnis geurteilt wird.
- Die Gesamtheit jener, denen Asyl zuerkannt wird, auf die Staaten Europas aufteilen. Ohne Ansehen dessen, woher sie kamen. Also ohne "Drittstaatenregelung", die nur den Schwarzen Peter jenen zuschiebt, die das Pech haben, außen zu liegen. Möglicherweise tatsächlich mit einer Art "Obergrenze", einem Maß für das Verträgliche, das allerdings weit, weit über jenem Maß läge, das Gesamteuropa sich derzeit zumutet
- volle Integration jener, die bei uns leben
- klare Regeln dazu, wie man sich zu verhalten und zu benehmen hat, und wie nicht (sowohl für die angestammten als auch für die neuen Österreicher)
- Rückführung jener, deren Asylverfahren negativ beschieden wird, oder die sich außerhalb unserer Gesellschaft stellen.
- Investition der Gelder in jene Länder, aus denen die Wirtschaftsflüchtlinge kommen, mit dem Ziel sie im Aufbau zu unterstützen und ihnen Rückführungsabkommen abzuringen (ja, auch das ist eine Art Erpressung, der Unterschied ist: die Länder und ihre Menschen bekommen eine Perspektive)
- Dauerhaftes Bleiberecht für jene, die wir "brauchen", auch für solche, die ursprünglich den Weg über ein Asylverfahren nach Österreich fanden (Menschen, die in Mangelberufen arbeiten wollen und sich erfolgreich qualifizieren, humanitäres Bleiberecht oder die Rot-Weiß-Rot-Karte, die für Zuwanderer, die ein Jobangebot habe, vorgesehen ist).
Über all das ließe sich trefflich streiten, doch dazu gehört der Wille, nicht das Gefühl sondern den Verstand sprechen zu lassen.
Von diesem Willen ist bei zu vielen im Moment zu wenig zu spüren.
Die Versuchung liegt in der Vision von einer Lösung, die das Problem exportiert und den mühsamen Weg der Ebene erspart. Die Kraft einer Verbindung von Menschen, die sich einander verbunden und verpflichtet fühlen, das gilt gleichermaßen für kleine und große Gruppen innerhalb einer Gesellschaft, liegt jedoch nicht in der Flucht vor der Auseinandersetzung, sondern in der Selbstbindung an einen Konsens, den man aktiv gesucht und erstritten hat.
Claudia Gigler