Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) muss für seine kontroversielle Aussage einer "Achse Rom-Berlin-Wien" in der Flüchtlingsfrage auch Kritik von einem führenden Parlamentarier der deutschen Schwesterpartei CDU einstecken. "Achsenmächte hätten (sic!) wir schon mal, schlechtes Beispiel mit der Achse!", twitterte CDU-Außenpolitiksprecher Roderich Kiesewetter am Mittwoch.

Der Bundestagsabgeordnete spielte damit auf den von den Nationalsozialisten geprägten Begriff einer "Achse Berlin-Rom" an, der die militärische und politische Allianz zwischen dem deutschen NS-Diktator Adolf Hitler und dem italienischen Diktator Benito Mussolini zwischen 1936 und 1943 bezeichnete.

Kiesewetter erntete für seine Kritik jedoch umgehend Widerspruch von einem Parteikollegen, der ihm auf Twitter "blöden Klamauk" vorwarf. Der Bundestagsabgeordnete konterte daraufhin mit einem inhaltlichen Angriff auf die Flüchtlingspolitik des ÖVP-Chefs. "Sein ganzer Ansatz ist populistisch und falsch. Das verknüpft mit belasteten Begriffen ist enttäuschend. Punkt!"

Viele deutschen Medien griffen Kiesewetters Kritik auf. Die Presse warf ihm "wenig sprachliches Feingefühl" vor. Mehrere Regionalzeitungen der "Funke-Gruppe" titelten: "Kurz eckt mit Nazi-Rhetorik an."

Streit in der Union

Innerhalb der regierenden deutschen Unionsparteien tobt derzeit ein heftiger interner Streit um die Verschärfung der Flüchtlingspolitik, ähnlich jenem über die Einführung einer Flüchtlingsobergrenze im Vorjahr. Innenminister Horst Seehofer (CSU) möchte die Möglichkeit schaffen, Flüchtlinge an der deutschen Grenze abzuweisen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) steht diesem Vorhaben skeptisch gegenüber und pocht auf eine europäische Lösung.

Während Bundeskanzler Kurz am Dienstag bei einem Treffen mit Merkel die Übereinstimmung bei den Bemühungen zur Verstärkung des EU-Außengrenzschutzes betonte, sprach er am Mittwoch bei einem Gespräch mit Seehofer von einer "Achse der Willigen" zwischen den Innenministern Deutschlands, Österreichs und Italiens zur Reduktion der illegalen Migration.

Die CSU hat Merkel nun einen Kompromissvorschlag unterbreitet. Sie besteht zwar weiter darauf, Asylbewerber, die schon in einem anderen europäischen Land registriert sind, an der deutschen Grenze zurückzuweisen. Zugleich unterstütze man aber Bemühungen zu gleichen Maßnahmen auf europäischer Ebene. 

Abkommen mit anderen Staaten

Ob das aber zu einer raschen Lösung in der erbitterten Auseinandersetzung führen kann, war zunächst noch völlig offen. Wie Reuters berichtete, schlug Merkel in einer Telefonschaltung des CDU-Präsidiums der CSU vor, zumindest diejenigen Asylbewerber an der Grenze abzuweisen, deren Bescheid in einem früheren Verfahren in Deutschland bereits negativ beschieden worden ist.

Außerdem möchte sie bis zum EU-Gipfel am 28. und 29. Juni Zeit bekommen, um bi- oder trilaterale Abkommen mit EU-Staaten auszuhandeln, in denen Flüchtlinge zuerst registriert wurden, die sich dann auf den Weg nach Deutschland machen, so Reuters unter Berufung auf Teilnehmer der Telefonkonferenz.

Merkel war nach dpa-Informationen unter anderem mit dem Vorschlag in die Verhandlungen gegangen, unter der europäischen Decke bilaterale Vereinbarungen mit den am stärksten vom Migrationsdruck betroffenen Ländern zu schließen. So soll eine juristisch wasserdichte Rückweisung von Migranten an der deutschen Grenze ermöglicht werden, die schon in anderen EU-Ländern Asylverfahren durchlaufen haben. Dies dürfte neben Italien unter anderem auch Griechenland betreffen.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) stellte sich indes hinter Merkel und meinte, wenn bereits in anderen EU-Staaten registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenze abgewiesen werden, könne das dazu führen, "dass am Ende das ganze System unkontrollierbar wird", sagte Laschet im ARD-"Morgenmagazin".

Laschet forderte im Streit zwischen Merkel und Seehofer eine "maximale Sachlösung". "Diese Personalisierungen und diese Dramatik, die da hineingelegt wird, ist unangemessen", warnte Laschet. Das eigentliche Ziel sei doch, wie verhindert werde, dass jemand, der nicht schutzbedürftig sei, nach Deutschland komme. "Wenn Merkel für eine europäische Lösung eintritt, dann hat sie meine Unterstützung."