Der Westbalkan-Gipfel in Sofia begann gestern Abend mit einem Dinner der Staats- und Regierungschefs. Doch die Gespräche drehten sich in erster Linie nicht um die Erweiterung, sondern um das Iran-Atomabkommen und um die Entwicklungen im Nahen Osten.

Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte heute früh am Beginn des eigentlichen Gipfels, Ziel seien nach wie vor dauerhafte Ausnahmen von den Zöllen: "Wenn es dazu kommt, können wir gemeinsam über den Abbau weiterer Zölle sprechen". Es herrsche Einigkeit unter allen Mitgliedsländern, Ratspräsident Tusk habe das mit starken Worten auf den Punkt gebracht. Gipfelchef Donald Tusk hatte Trumps Kurs vor dem Treffen scharf kritisiert und eine "geschlossene europäische Front" dagegen verlangt. "Wenn man sich die jüngsten Entscheidungen von Präsident Trump ansieht, könnte man denken: "Mit solchen Freunden, wer braucht da noch Feinde?", sagte Tusk.

Als eine konkrete Maßnahme ist nach wie vor eine aus den 90er-Jahren stammende Blockaderegelung im Gespräch. Über das sogenannte Blocking Statute könnte es europäischen Unternehmen unter Strafe verboten werden, sich an die US-Sanktionen gegen den Iran zu halten. Gleichzeitig würde es regeln, dass die europäischen Unternehmen für Verluste entschädigt werden. 

Westbalkan

Beim Gipfel soll es heute aber vor allem darum gehen, wie man den möglichen Kandidaten Kosovo und Bosnien-Herzegowina sowie den tatsächlichen Albanien, Mazedonien, Montenegro und Serbien das Aufschließen an nötige Standards erleichtern kann. So lautet das Schlagwort „Konnektivität“, gemeint ist damit der Ausbau von Verkehrsverbindungen ebenso wie die Modernisierung der Datenverbindungen mit dem höheren Ziel „die Menschen zu verbinden“, wie es Ratspräsident Donald Tusk nach einem Treffen mit dem österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz im Februar formulierte. Österreich übernimmt die Westbalkan-Frage als einen zentralen Punkt in die im Juli beginnende Ratspräsidentschaft. Auch in punkto Westbalkan herrsche Einigkeit, so Kurz: "Die Region ist geografisch und emotional ein Teil Europas, wir unterstützen das voll.
Es wurden Fortschritte erzielt, für Serbien und Montenegro bin ich sehr optimistisch. Das Thema ist ja auch Teil unserer Ratspräsidentschaft, ich hoffe, das der Namensstreit um Mazedonien gelöst werden kann."

"Neuer Schwung"

Somit sind heute aber auch keine konkreten Erklärungen zu erwarten, vielmehr ein, wie es heißt, „neuer Schwung“, nachdem seit dem Beginn der Gespräche am ersten Balkan-Gipfel mittlerweile 15 Jahre verstrichen sind. Erweiterungskommissar Johannes Hahn hatte zuletzt für Serbien und Montenegro das Jahr 2025 als möglichen Beitrittszeitpunkt genannt. Präsident Juncker bezeichnete diesen Zeitpunkt als „Ermunterungsdatum“, realistisch ist er eher nicht.

Nagelprobe

Für EU-Abgeordneten Othmar Karas (ÖVP) handelt es sich nun aber um eine „Nagelprobe“: „Noch vor dem Sommer muss es grünes Licht für EU-Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Mazedonien geben. Nur dann nehmen uns die Länder am Westbalkan die oft versprochene europäische Perspektive ab.“

Allerdings ist der Weg auf jeden Fall noch ein weiter. Keiner der Staaten erfüllt die Beitrittsbedingungen. Nach wie vor sind organisierte Kriminalität und Korruption an der Tagesordnung, dazu kommen auch noch bilaterale territoriale Konflikte: Serbien etwa, das grundsätzlich schon weit in der Annäherung ist, liegt mit der abgespaltenen Provinz Kosovo im Streit – der Kosovo ist auch der Grund, warum Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy als einziger Regierungschef nicht am Gipfel teilnimmt und sich von Diplomaten vertreten lässt. Die Spanier sehen im Kosovo einen Präzedenzfall für Katalonien. Allerdings hat Spanien angekündigt, die Schlüsse der EU-28 dennoch mitzutragen. In Bosnien-Herzegowina wiederum herrscht anhaltend Missstimmung zwischen Serben, Kroaten und den meist muslimischen Bosniern.

Globales Gerangel

Dass die EU das Projekt jetzt vorantreibt, kommt nicht von ungefähr. Um den Westbalkan ist ein globales Gerangel ausgebrochen, Russland und die Türkei haben Interesse an dem Gebiet, auch China hat zunehmend versucht, seinen Einfluss auszubauen. Die EU, die bisher schon Milliarden in die Annäherung investiert hat, will sich nicht um die Früchte des Engagements bringen lassen. Im Mittelpunkt stehen neben wirtschaftlichen Interessen – rund 73 Prozent des Handels laufen derzeit mit EU-Ländern – vor allem sicherheitspolitische Aspekte. Das kleine Montenegro, das derzeit als am weitesten fortgeschrittener Aspirant gilt, ist inzwischen Nato-Mitglied.

Die Beitrittsperspektive der Westbalkan-Staaten wird auch von Österreich unterstützt, sie solle, so Sebastian Kurz, „möglichst schnell Realität werden“. Ein weiterer Gipfel ist für Ende Juni in Brüssel vorgesehen.