Der Grenzstreit zwischen Slowenien und Kroatien tritt am morgigen Samstag in eine entscheidende Phase. Nach dem Ablauf einer von internationalen Schiedsrichtern gesetzten Frist will die slowenische Regierung den neuen Grenzverlauf mit Kroatien effektiv werden lassen - gegen den erklärten Willen des Nachbarn. Auf den Einsatz von Gewalt werde dabei verzichtet, beruhigt man in Ljubljana.
Der seit 1991 schwelende Grenzstreit sollte von einem fünfköpfigen internationalen Tribunal beigelegt werden, doch trat Kroatien im Jahr 2015 aus dem Verfahren aus. Der Grund waren schwere Regelverletzungen durch Slowenien: Das slowenische Tribunalsmitglied wurde bei verbotenen Absprachen mit Ljubljana ertappt. Deswegen rollte das Tribunal das Verfahren in komplett internationaler Zusammensetzung neu auf. Am 29. Juni erging der Schiedsspruch, samt der Auflage, ihn innerhalb von sechs Monate umzusetzen. Diese Frist endet am heutigen Freitag.
Verlauf der Seegrenze
Größter Zankapfel ist der Verlauf der Seegrenze in der nördlichen Adria. Im gemeinsamen Staats Jugoslawien gab es nämlich keine Seegrenze zwischen den Teilrepubliken Slowenien und Kroatien. Das Schiedsgericht sorgte für eine exaktive Grenzziehung. Es sprach Slowenien 80 Prozent der umstrittenen Adriabucht von Piran zu, die im gemeinsamen Staat zur Gänze von der gleichnamigen slowenischen Stadt aus verwaltet worden war. Den gewünschten direkten Zugang zu internationalen Gewässern bekam Slowenien nicht, aber einen Korridor durch kroatische Hoheitsgewässer.
Slowenien will ab Samstag die volle Kontrolle über die zugesprochenen Gewässer übernehmen, weswegen Zwischenfälle befürchtet werden. Schon in der Vergangenheit gerieten kroatische Fischer und die slowenische Polizei immer wieder aneinander. Oft waren die Fischer in Begleitung kroatischer Polizeiboote unterwegs, was die Spannungen verschärfte und zu diplomatischen Notenwechseln führte.
Seit dem Schiedsspruch führt Ljubljana genau Protokoll über die Zwischenfälle. 1.000 Grenzverletzungen durch kroatische Boote soll es Medienberichten zufolge in den vergangenen sechs Monaten gegeben haben. Slowenien will seine künftige Grenze nicht durch ein zusätzliches Polizeiaufgebot schützen, aber Strafen ausstellen. Außerdem werden von kroatischen Fischern künftig Lizenzen verlangt. Wer ohne Bewilligung seine Netze in slowenischen Gewässern auswirft, muss eine Geldstrafe zahlen statt - wie bisher - nur abgemahnt zu werden.
Die Seegrenze wurde von den Schiedsrichtern eindeutig festgelegt und kann ab sofort kontrolliert werden. Komplizierter ist die Lage bei der Landgrenze, die noch markiert werden muss. Das Tribunal hat nämlich keine exakten Koordinaten genannt, sondern Handlungsanleitungen gegeben wie jene, den Katastergrenzen zu folgen. Slowenien hat auf dieser Grundlage zwar schon neue Landkarten gezeichnet, will die Grenzsteine aber im Einvernehmen mit dem Nachbarland aufstellen. Dazu soll eine gemeinsame Kommission gegründet werden. Es gilt als unwahrscheinlich, dass Zagreb dem in naher Zukunft zustimmt. Somit dürfte sich in der Praxis zunächst kaum etwas ändern. Sofort angepasst wird das Grundbuch, aus dem Slowenien einige nunmehr zu Kroatien zählende Gebiete streichen wird.
Umsiedlung
Rund 100 slowenische Staatsbürger werden sich mit ihren Liegenschaften jenseits der neuen Staatsgrenze wiederfinden. Ihnen hat Ljubljana Unterstützung bei der Übersiedelung angeboten. Ein Dutzend Familien soll Interesse daran bekundet haben, doch dürften es sich mittlerweile einige wieder überlegt haben. Slowenien hat ihnen eine Frist von einem Jahr zur Entscheidung eingeräumt.
Ein potenzieller Streitpunkt am Land könnte der strategisch wichtige Berg Trdinov vrh (kroatisch: Sveta Gera) im Südosten des Landes sein, der Kroatien zugesprochen wurde. Auf dem Berg befindet sich ein Militärobjekt der slowenischen Armee, das noch nicht gleich an Zagreb übergeben werden soll. Slowenien will das Gebäude dem Nachbarland auf Basis eines Übergabeprotokolls übergeben. Bis dahin sollen weiterhin slowenische Soldaten dort stationiert bleiben.
Letztlich wird der Grenzstreit auf dem diplomatischen Parkett entschieden werden. Slowenien trommelt bereits seit Monaten, dass Kroatien mit seiner Weigerung gegen Völkerrecht verstoße. Außenminister Karl Erjavec hat bereits eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof in den Raum gestellt.
Kroatien wiederum warnt den nördlichen Nachbarn vor "einseitigen Handlungen". Ministerpräsident Andrej Plenkovic betonte, dass das Schiedsurteil ohne die Kooperation beider Staaten nicht umgesetzt werden könne. In einer am Donnerstag nach Ljubljana geschickten diplomatischen Note bezeichnete Zagreb es als "inakzeptabel", die Lage an Ort und Stelle mit "einseitigen Maßnahmen" zum Schaden Kroatiens zu ändern.
Hin und her
Slowenien weist diese Darstellung zurück und sieht auch keine Veranlassung, mit dem Nachbarland zu verhandeln. "Die Umsetzung des Schiedsspruchs ist eine internationale Verpflichtung beider Länder", betonte der slowenische Premier Miro Cerar kürzlich. "Das ist nicht etwas, worüber wir entschieden können, es zu machen oder nicht zu machen." Unausgesprochen bleibt dabei, dass das Tribunal den Konfliktparteien explizit die Möglichkeit eingeräumt hat, einvernehmlich vom Schiedsspruch abweichende Regelungen zu vereinbaren. Freilich ist eine solche Einigung illusorisch: Hätten sich Ljubljana und Zagreb in dem Konflikt verständigen können, wäre kein Schiedsspruch erforderlich gewesen.
Ljubljana hofft darauf, dass sich die EU-Kommission für eine Umsetzung des Schiedsspruchs stark machen wird. Ende November hatte sich der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, mit einer Vermittlungsmission eingeschaltet - allerdings bisher ohne sichtbaren Erfolg. Brüssel hat ein besonderes Interesse am Erfolg des Verfahrens, das im Jahr 2009 unter EU-Schirmherrschaft gestartet worden war, um ein Patt in den EU-Beitrittsverhandlungen mit Kroatien zu durchbrechen.