Kurz nach der Beantragung eines Strafverfahrens gegen Polen durch die EU-Kommission sind in dem Land zwei weitere umstrittene Justizreformen in Kraft getreten. Staatspräsident Andrzej Duda unterzeichnete am Mittwoch nach eigenen Angaben zwei Reformen, die das Oberste Gericht und den Nationalen Justizrat betreffen.
"Wir führen in Polen sehr gute Lösungen ein, die das Justizwesen effizienter machen", sagte Duda in einer Fernsehansprache. "Der demokratische Charakter des Justizsystems wird gestärkt."
Die polnische Opposition und die EU sehen in den Gesetzesänderungen dagegen eine Einschränkung des Rechtsstaates und der Gewaltenteilung. Nach den neuen Gesetzen werden die 15 Richter des NCJ nicht mehr wie bisher von anderen Richtern gewählt werden, sondern mit einer Dreifünftel-Mehrheit vom Unterhaus des Parlaments. Die Kandidaten sollen auf einer Einheitsliste antreten, keine Parlamentsfraktion darf mehr als neun Kandidaten benennen. Der NCJ soll die Unabhängigkeit der Justiz schützen.
Zudem wird eine "außerordentliche Klage" gegen Urteile der vergangenen 20 Jahre eingeführt. Damit sollen die Bürger mehr Rechtssicherheit bekommen.
Am Obersten Gerichtshof wird das Pensionsalter der Mitglieder von derzeit 70 auf 65 Jahre gesenkt. Dahinter steckt die Absicht der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), ihrer Meinung nach aus der Zeit vor der "Wende" belastete Richter aus dem Obersten Gericht zu entfernen. Allerdings kann das Staatsoberhaupt ausgesuchten Richtern erlauben, bis zum Alter von 70 Jahren zu amtieren.
Duda hatte die vor knapp zwei Wochen vom Parlament verabschiedeten Gesetzesvorlagen selbst eingebracht. Gegen die ursprünglich von der PiS-Regierung befürworteten Gesetzesmaßnahmen hatte der Staatspräsident im Juli sein Veto eingelegt. So lehnte er es ab, dem Generalstaatsanwalt, der in Polen gleichzeitig der Justizminister ist, zu viel Macht einzuräumen.
Die Opposition hatte sich jedoch enttäuscht über Dudas Änderungsvorschläge geäußert und sie als weiterhin nicht verfassungsgemäß kritisiert. Auch die EU-Kommission äußerte wiederholt ihre Sorge und sah die Gewaltenteilung in Gefahr. Am Mittwoch griff die Kommission im Streit um die polnischen Justizreformen zum Äußersten: Sie beantragte ein Strafverfahren, das bis zum Entzug von Stimmrechten gehen kann.
Ministerpräsident Mateusz Morawiecki erklärte nach der Entscheidung aus Brüssel auf Twitter: "Die Justizreform in Polen ist unerlässlich." Jedoch will er sich im Jänner mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zum Gespräch über die Reformen treffen. Juncker lud Morawiecki für den 9. Jänner nach Brüssel ein.
Das polnische Außenministerium erklärte, die Entscheidung Brüssels habe politischen und nicht rechtlichen Charakter. Die Entscheidung belaste die gegenseitigen Beziehungen unnötigerweise und erschwere den Aufbau von gegenseitigem Vertrauen und Einigkeit.
Justizminister Zbigniew Ziobro sagte: "Ich nehme die Entscheidung mit Gelassenheit zur Kenntnis." Die Regierungspartei PiS sieht sich im Recht und argumentiert, der polnische Justizapparat sei seit dem Ende des Kommunismus 1989 nicht reformiert worden.
Für die EU-Kommission sagte Vizepräsident Frans Timmermans, man eröffne das Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge nur schweren Herzens. "Aber die Fakten lassen uns keine andere Wahl." Die polnischen Reformen seien eine ernste Gefahr für die Unabhängigkeit der Justiz und die Gewaltenteilung in Polen. "Heute ist die Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung nicht mehr garantiert", sagte Timmermans.
Man habe immer wieder Empfehlungen gegeben und den Dialog gesucht. Dieser sei dieses Jahr nicht mehr zustande gekommen, sagte Timmermans. Doch habe Warschau immer noch die Möglichkeit zur Kurskorrektur und zum Gespräch. Man habe neue Empfehlungen zur Lösung der Krise gegeben. Sollte die Regierung dem binnen drei Monaten folgen, werde die Kommission erneut beraten, sagte Timmermans.
Präsident Duda kündigte kurz nach dem Beschluss der Kommission an, zwei kritisierte Justizgesetze zu unterschreiben. Regierungskritiker sahen darin ein fatales Signal für die Dialogbereitschaft mit der Kommission.