Rekord in Sachen deutsche Regierungsbildung: Es hat noch nie so lange gedauert, bis nach einer Bundestagswahl das neue Kabinett ins Amt kam. Der bisherige Rekord von 2013, als 86 Tage bis zur Vereidigung der neuen Regierung vergingen, wurde am Dienstag eingestellt. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch rechnet deswegen mit weiterer Politikverdrossenheit.

Bis Dienstag sind seit der diesjährigen Wahl vom 24. September wiederum 86 Tage vergangen. Bartsch sagte der Nachrichtenagentur AFP, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) trage "Verantwortung für die völlig inakzeptable Situation, dass drei Monate nach der Wahl eine Regierungsbildung nicht in Sichtweite ist". Er fügte hinzu: "Die Politikerverdrossenheit wird, je länger es dauert, zunehmen."

Bartsch forderte Union und SPD auf, "das als Staatsschauspiel inszenierte aktuelle Kasperletheater zu beenden und klarzumachen, wann, in welcher Konstellation und auf welcher inhaltlichen Grundlage sie eine Regierung bilden wollen". Die Linke werde die soziale Opposition im Bundestag sein.

Nach dem Scheitern der Sondierungen über ein Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und Grünen will die CDU/CSU am Mittwoch zwar mit der SPD erneut über eine mögliche Regierungsbildung sprechen. Diese dürfte sich, wenn es denn dazu kommt, aber weit ins kommende Jahr hinziehen. Denn bei den deutschen Sozialdemokraten wird eine mögliche Neuauflage der Großen Koalition noch immer kontrovers diskutiert.

Als Alternative gilt insbesondere bei Vertretern des linken SPD-Flügels eine Kooperationskoalition, die sich nur in einigen Kernbereichen einigt und ansonsten mit wechselnden Mehrheiten im Bundestag arbeitet. Dies lehnt Merkel allerdings ab.

SPD-Chef Martin Schulz teilte über den Kurzbotschaftendienst Twitter mit, dass der bisher für den 14. Jänner geplante Parteitag um eine Woche verschoben wird. Als Grund nannte er den Wunsch der CSU, nicht vor der Klausur der CSU-Bundestagsabgeordneten von 4. bis 6. Jänner im bayrischen Kloster Seeon mit den Sondierungsgesprächen zu beginnen. Auf dem Parteitag will die SPD darüber entscheiden, ob sie nach der Sondierungsphase auch in Koalitionsgespräche mit CDU und CSU eintritt.

CSU-Chef Horst Seehofer setzt auf rasche Sondierungen mit der SPD über die Bildung einer stabilen Regierung in Deutschland Anfang 2018. Vor dem zweiten Spitzentreffen sagte Seehofer beim Eintreffen zu Beratungen der engsten Unionsführung in Berlin, er erwarte, "dass es zügig weitergeht. Die Bevölkerung wartet darauf. Wir sind jedenfalls bereit, die CSU, zügig zu verhandeln."

Auf die Frage, ob es möglich sei, Anfang 2018 innerhalb von zwei Wochen zu sondieren, ob Koalitionsverhandlungen mit der SPD möglich seien, sagte der bayrische Ministerpräsident: "Jedenfalls kann man innerhalb dieser Zeit Klarheit schaffen, ob Verhandlungen Sinn machen." Zugleich zeigte er sich vor den Gesprächen mit Schulz und SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles verhandlungsbereit: "Wenn man guten Willen hat, kann man im Leben furchtbar viel bewegen. Ich habe diesen guten Willen."

Als Kernthemen der CSU für die Verhandlungen mit CDU und SPD nannte Seehofer "alles in der Innen- und Außenpolitik, was den Menschen nutzt". Es gehe um die Europapolitik, sicherere Arbeitsplätze, die Zukunft von Pensionen und Pflege, die Sicherheit der Menschen sowie um die Zuwanderung. "Die ganze Palette, die bekannt ist", ergänzte er.

Die Spitzen von CDU, CSU und SPD wollen sich an diesem Mittwoch auf einen Fahrplan für Sondierungen Anfang 2018 einigen. SPD-Chef Martin Schulz hatte via Twitter mitgeteilt, offizielle Sondierungen sollten nach dem 6. Jänner beginnen. An diesem Tag endet die traditionelle Klausur der Berliner CSU-Landesgruppe im bayrischen Seeon. Am 21. Jänner soll bei der SPD ein Sonderparteitag über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entscheiden.

Mit 86 Tagen war bereits 2013 eine Rekordlänge bei der deutschen Regierungsbildung erreicht worden, bis die Große Koalition zustande kam. 2009 hatte es nur 31 Tage gedauert, bis die damalige schwarz-gelbe Koalition von Union und FDP stand. Allerdings gab es im damaligen Regierungsbündnis viel Streit. Deshalb gilt seither der Grundsatz, sich lieber die Zeit für gründliche Koalitionsverhandlungen zu nehmen.

Im Jahr 2005 hatte es nach der Wahl am 18. September wiederum über zwei Monate gedauert, bis Merkel erstmals zur Kanzlerin einer Großen Koalition gewählt wurde. Damals war es am 22. November soweit.