Diese Woche wurde der umstrittene Milliardär Andrej Babis zum tschechischen Regierungschef ernannt: Die Lage in Tschechien nennen Sie „verdammt ernst“. Weshalb?
Karl Schwarzenberg: Es ist für mich immer bedenklich, wenn ein Chef der wesentlichen Medien eines Landes den mächtigsten politischen Posten erreicht. Babis behauptet zwar, er hätte den Besitz übergeben, aber das kann er meiner Großmutter erzählen.
In einem tschechischen Bonmot heißt es: „Wenn wir so blöd wären, wie wir wählen, müsste man sich wirklich Sorgen machen um uns Tschechen.“ Ist das so?
Tschechen wissen sehr genau über sich selbst Bescheid. Wir haben einen herrlichen trockenen Humor hier.
Welche demokratischen Unterschiede fallen Ihnen zwischen Tschechien und Österreich auf?
Österreich wurde mehr als 30 Jahre früher frei als Tschechien. Da konnten sich in Österreich doch über einen längeren Zeitraum mehr demokratische Traditionen und Umgangsformen entwickeln. Aber beide Länder haben ähnliche Schwächen. In Österreich hatten wir immer ein etwas schlampertes Verhältnis zur NS-Vergangenheit. In Tschechien verhält es sich fast spiegelbildlich, was die kommunistische Vergangenheit betrifft. Beide Länder haben offensichtlich eine Neigung, die klassische Demokratie ein wenig beiseitezuschieben, um sich autoritären Regimen zu nähern.
Auch in Österreich?
Auch hier. Das drückt sich nur anders aus. Vor ein paar Jahren wurden die Chefs von Asfinag und ÖBB abgesetzt, weil sie der „Kronen Zeitung“ nicht genügend Inserate gegeben hatten.
Sie meinen das - eingestellte - Verfahren in der „Inseratenaffäre“ rund um Werner Faymann.
Österreich nähert sich blitzschnell der tschechischen Republik an. Auch die fremdenfeindlichen Äußerungen der FPÖ kenne ich von diversen Parteien in Prag.
Sie haben Sebastian Kurz einmal attestiert, er sei dem Populismus verfallen.
Verfallen habe ich nicht gesagt, aber dass er gewisse populistische Züge zeigt, das ist richtig.
Sie haben auch gesagt, dass sich eine „auf Bünden und Ländern gegründete Partei wie die ÖVP so aufgegeben habe“, sei ein Verzweiflungsakt gewesen. Wie meinen Sie das?
Wir sind in der ÖVP weit entfernt vom christlichsozialen Inhalt, der am Anfang noch sehr stark war. Jetzt ist alles konzentriert auf eine Person, an die sich alle Hoffnungen knüpfen. Allein dass es heute „ÖVP - Liste Kurz“ heißt: Das hat es selbst unter einer Persönlichkeit wie Julius Raab nicht gegeben. Unvorstellbar: „ÖVP - Liste Raab“. Was auch nicht vergessen werden sollte: Die Republik ist aus den Bundesländern entstanden, nicht die Bundesländer als Aufteilung einer einheitlichen Republik Österreich. Ich bin ja leider Gottes wirklich schon ein alter Mann, und ich hatte die Ehre, alle Bundeskanzler zu kennen, angefangen von Leopold Figl. Christian Kern habe ich nicht gekannt, der war zu kurz. Wenn man alle gekannt hat, merkt man den Wandel in der Politik. Sowohl ÖVP als auch SPÖ haben sich von ihren Wurzeln entfernt.
Bruno Kreisky hat Anfang der 1970er-Jahre mit dem Slogan „Leistung, Aufstieg, Sicherheit“ geworben, Sebastian Kurz warb nun mit Ähnlichem.
Kreisky hatte großes politisches Talent, auch Kurz hat das. Beide wissen, wie man Wähler anspricht. Es ist nur natürlich, dass sie sich in manchem ähneln. Wenn manche Kurz vorwerfen, er manipuliere die Menschen, muss ich sagen: Das hat Kreisky auch getan. Ein Politiker braucht die Eigenschaft, die Leute beeinflussen zu können, sonst kann er gleich einpacken.
Der Sozialdemokratie kommen europaweit die Wähler abhanden. Ist die Zeit der Sozialdemokraten vorbei?
Da gab es große Verluste, das ist richtig. Die Rezepte sind aber nun einmal auch uralt, sowohl bei den Sozial- als auch bei den Christdemokraten. Weder die einen noch die anderen haben wesentliche neue Ideen eingebracht. Ich denke, wir werden ganz neue Gruppierungen haben, aber welche das sein werden, das weiß ich nicht. Die Liberalen eher nicht. In Mitteleuropa ist der liberale Gedanke nicht wirklich zu Hause. Als Heide Schmidt eine liberale Partei gründete, fragte sie mich, ob ich ihr helfen könne. Ich sagte ihr damals, dass es meiner Ansicht nach leichter ist, in Murau eine Bananenplantage aufzubauen als in Mitteleuropa eine liberale Partei.
Warum haben Sie sich immer den Christlichsozialen zugehörig gefühlt?
Ich bin zwar ein schwieriger Christ, aber doch ein begeisterter Katholik. Die katholische Welt hat mich in diesem Lager gehalten, obwohl ich unzählige Freunde, sogar mehr, auf der anderen Lagerseite hatte und bis heute habe. Die Grundideen des Christentums sind auch in der Politik höchst nützlich. Das Verantwortungsbewusstsein, das soziale Mitgefühl, das Menschen in diesem Lager haben, führt doch häufig zu verantwortungsvollen Politikern.
Sie arbeiteten in den 60er-Jahren mit an der Reform der ÖVP.
Bis in die 1980er-Jahre hinein, um die Wahrheit zu sagen. 20 Jahre habe ich da abgewütet. Viele meiner Kollegen von damals, Joschi Krainer, Alois Mock, sind schon im Himmel.
Sie wurden einst auf Vorschlag der Grünen tschechischer Außenminister. Im österreichischen Parlament sind die Grünen nicht mehr vertreten. Was sagen Sie?
Leider ist es so. Meine Freunde, die Grünen, leiden daran, dass sie untereinander so viel streiten. Da die Realos, dort die Fundis. Die Grünen gehen immer an ihren eigenen inneren Streitereien zugrunde. Aus Verzweiflung über diese Eigenschaft habe ich in Tschechien 2009 lieber eine eigene Partei gegründet, die Top 09.
Und wenn es die Grünen nicht mehr ins Parlament schaffen?
Ich halte das nicht für unwahrscheinlich, obwohl das Umweltthema nach wie vor aktuell ist. Doch auch die klassischen Parteien und auch junge, neue mähen auf der grünen Wiese. Aber ich halte ein Lager, das sich besonders dem Umweltschutz verpflichtet fühlt, für sehr wichtig.
Vor Weihnachten könnte es noch eine ÖVP-FPÖ-Regierung gaben. Was denken Sie?
Wenn Reformen verwirklicht werden, zu der die Große Koalition nicht mehr fähig war, dann ist diese Regierung gerechtfertigt. Sonst ist sie sinnlos.
Was kontern Sie Kritikern, die sich vor der rechtspopulistischen FPÖ in der Regierung fürchten?
Erstens: Das ist eine übertriebene Angst. Zweitens: Das ist eine neue Generation. Drittens: Wenn die FPÖ einen derartigen Zuspruch bei den Wählern hat, muss man das respektieren. Dieses Lager war mir nie nahe, das ist bekannt, aber bitte: Wenn die FPÖ nur ein paar Prozent hinter den Sozis oder der ÖVP liegt, kann man sie nicht ausschließen. Aber man muss die rechten Gruppen beobachten, wie sie sich entwickeln.
Was wünschen Sie sich zum Geburtstag?
Wenn der Rechtsstaat und die Liberalität überall in Mitteleuropa funktionieren würden, wäre ich schon sehr glücklich.
Der deutsche Liedermacher Wolf Biermann nennt Sie „Genosse Fürst“. Gefällt Ihnen das?
Aber selbstverständlich, sehr!
Empfinden Sie sich als „Genosse Fürst“?
Ich empfinde mich nicht. Ich bin, was ich bin. Manche Tschechen warfen mir vor, ein Linker zu sein. Damit habe ich mich abgefunden. Mir ist wurscht, in welche Schachtel man mich steckt.
Manuela Swoboda