Der frühere tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg sieht in Österreich angesichts des bevorstehenden Regierungswechsels "dieselben politischen Tendenzen" wie in Polen, Ungarn und Tschechien. Überall gebe es "diese Neigung, sich nicht allzu sehr von demokratischen Gewohnheiten und Verzögerungen aufhalten zu lassen", so Schwarzenberg, der am Sonntag 80 Jahre alt wird, im APA-Gespräch.
Neigung zur "autoritären Staatsführung"
Für den in Wien und Prag lebenden Politiker ist dies ein Beweis dafür, dass die "Region Mitteleuropa existiert". "Wir unterscheiden uns offensichtlich wirklich in der Mentalität von den Westeuropäern", meinte der frühere Dissident und Außenminister, "und wir kommen uns wieder näher, die Regierungsformen nähern sich wieder an". Eine der Gemeinsamkeiten sei eine Neigung zur "autoritären Staatsführung".
Vom neuen politischen Stil, den sowohl Sebastian Kurz (ÖVP) in Österreich als auch der neue tschechische Regierungschef Andrej Babis versprochen haben, hält Schwarzenberg wenig: "Das habe ich schon so oft gehört, ich bin überzeugt, der neue Stil wird bald bestenfalls ein alter sein", sagte er.
Trotzdem seien Babis und Kurz nicht vergleichbar. "Das sind ganz verschiedene Menschen, der eine ein junger hochbegabter Politiker, der keinerlei Businesserfahrung hat, der andere ein gewiefter Businessman, ehemaliger Mitarbeiter der Staatssicherheit und vielfacher Milliardär." Politisch begabt seien beide und beide hätten eine Neigung die traditionellen demokratischen Formen in ihren Ländern zu "erleichtern".
EU werde Österreich beobachten
Ob sich Österreich wirklich in dieselbe Richtung wie das zunehmend autoritär geführte Ungarn unter Premier Viktor Orban entwickeln werde, wie von Schwarzenberg selbst vor der Nationalratswahl im Herbst in den Raum gestellt, könne er noch nicht abschätzen. "Wir werden sehen, wie weit sich bei Türkis-Blau die zwei Farben beeinflussen werden, wie weit das Türkis gebläut wird sozusagen", so Schwarzenberg.
In der EU werde die Situation in Österreich künftig sicher scharf beobachtet werden, meinte er. "Leicht wird es für Kurz nicht sein", aber wenn seine Regierung tatsächlich Reformen umsetzen werde, dann könne sie durchaus erfolgreich werden "und unter Applaus regieren", prophezeite Schwarzenberg. Daher plädierte er dafür die künftige ÖVP-FPÖ-Regierung "in Aktion zu beurteilen". Denn man müsse zugestehen, dass es "realistischerweise keine andere Möglichkeit gegeben hat, weil sowohl in der SPÖ als auch in der ÖVP die Leute genug von der Großen Koalition hatten".
Die Ernennung des umstrittenen Unternehmers Babis zum neuen tschechischen Regierungschef diese Woche bezeichnete Schwarzenberg, der nach wie vor in Tschechien im Senat sitzt, als "katastrophale Lösung für das Land". Der Chef der liberalen populistischen Partei ANO hat bisher keine Mehrheit im Parlament und will nun eine Minderheitsregierung bilden. "Die Konstruktion baut darauf, dass mit Unterstützung des Präsidenten (Milos Zeman) die Regierung amtiert, ohne (vom Parlament) das Vertrauen ausgesprochen zu bekommen. Als geschäftsführende Regierung kann sie fröhlich über das Land herrschen", meinte Schwarzenberg.
Trotz der wachsenden nationalstaatlichen Tendenzen in Europa glaubt Schwarzenberg, der in den 1930er Jahren geboren wurde und zahlreiche Umbrüche erlebt hat, trotzdem nicht an ein Auseinanderdriften Europas: "Da würden die Leute viel zu viel Geld dabei verlieren und das ist ein relativ verlässliches Klebemittel", so der Ex-Außenminister.
Auf die Frage, was er in den kommenden Jahren noch vor habe, meinte Schwarzenberg: "Große Pläne habe ich nicht, weil ich weiß ja nicht, wie lange ich noch auf dieser Erde verweilen werde." Er wolle weiter versuchen, sich in Tschechien für eine proeuropäische Politik einzusetzen und sein Parlamentsmandat ausüben.
Judith Egger/APA