Noch-Bundeskanzler Christian Kern glaubt, dass die FPÖ im Falle einer Regierungsbeteiligung in der Europapolitik "viele Lektionen" werde lernen müssen, sonst könnte sie Österreich aus der EU "sprengen". Einzelne Länder könnten sich in der EU nie zu 100 Prozent durchsetzen, sagte Kern nach dem EU-Sozialgipfel in Göteborg.
"Jeder, der glaubt, dass wir bei 28 Ländern 100 Prozent unserer Meinung durchsetzen werden, der hat nicht verstanden, was die Mechanismen sind", sagte er wörtlich. "Da wird die FPÖ jetzt auch viele Lektion lernen oder sie werden Österreich aus der EU sprengen. Sie werden ihre Politik radikal verändern oder den Rückzug aus der EU antreten müssen."
Konzept eines Nachtwächter-Europa
Kern bedauert, dass Österreich in Zukunft vermutlich nicht mehr Partner des "vor Ideen" und "faszinierenden Visionen" sprühenden französischen Präsidenten Emmanuel Macron sein werde. Weil ÖVP und FPÖ "ja ein Konzept eines Nachtwächter-Europa vertritt: Sicherheit, Grenzen dicht, offene Märkte, freier Binnenmarkt."
Macron versuche, Europa weiterzuentwickeln. "Ich würde mir wünschen, dass er mehr Bündnispartner findet." Insbesonders Deutschland: "Ohne das jetzt zu einer Fundamentalkritik an Deutschland zu machen, aber wenn ich mir ansehe, wie Europa da bei den Jamaika-Verhandlungen diskutiert wird, ist das einfach eine Enttäuschung." Der SPÖ-Chef sieht in Berlin einen Rückzug aus der Idee, Europa wieder zu einem gemeinsamen Projekt zu machen, und stattdessen einen Versuch "da zu bremsen".
Macrons Ideen würden etwa in Italien, Spanien und auch Portugal unterstützt. Als ein Beispiel für neue Vorschläge Macrons nannte Kern die Idee von europaübergreifenden Studienlehrgängen, Lehrplänen mit zwei lebenden Fremdsprachen. Oder die Regulierung des Urheberschutzes für Inhalte im Internet. Kern teilt diese Meinung: "Ich sehe es nicht ein, dass Leute auf geistiges Eigentum zugreifen können, ohne zu zahlen."
In Bezug auf die Kosten des Brexit forderte Kern Ehrlichkeit. Wenn "man es den Menschen ehrlich sagt, gibt's nur zwei Möglichkeiten: entweder wir sind bereit, mehr zu zahlen, oder wir sind bereit, die Leistungsfähigkeit der EU zu reduzieren." Dann würden die Mittel vor allem für die Landwirtschaft zu kürzen sein, sowie die Mittel für Forschung und Entwicklung. "Da hängen ja auch unsere Universitäten dran." Das heißt: "Will man weniger EU, gibt es weniger Geld für Landwirtschaft und Forschung."
Auf europäischer Ebene wünscht sich Kern "wieder eine stärkere Sozialdemokratie". Dafür gebe es am 1. und 2. Dezember ein großes Treffen der sozialdemokratischen Partei- und Regierungschefs in Lissabon, um sich im Hinblick auf die Europawahl 2019 gut aufzustellen. Die Premiers Paolo Gentiloni (Italien), Antonio Costa (Portugal), Stefan Löfven (Schweden) sowie SPD-Chef Martin Schulz hätten bereits zugesagt.