Der Vertreter der EU-Kommission in Österreich, Jörg Wojahn, wünscht sich eine "stabile, proeuropäische österreichische Bundesregierung". Diesen Wunsch äußerte er Dienstagabend im Haus der Europäischen Union in Wien. "Die EU braucht Österreich mehr denn je", sagte er im Rahmen der Gesprächsreihe "Europa : DIALOG".
Große Chance
Wojahn ist zuversichtlich, dass sich die neue Regierung nicht von der EU abwenden wird. Der neue Kanzler werde rasch erkennen, was für eine großartige Chance die EU-Ratspräsidentschaft 2018 sei. Außerdem hätten es EU-Skeptiker im Augenblick überhaupt schwer. "Das tiefe Tal vom letzten Jahr ist durchschritten." Nach der Brexit-Entscheidung und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten sei vielen bewusst geworden, was man an der EU habe. Diese beiden "einigenden" Ereignisse seien wie "eine kalte Dusche" gewesen, nach der man sich wieder agil und beweglich fühle. "Europa wächst durch Krisen", das habe sich wieder einmal gezeigt. Nun sei der richtige Zeitpunkt, um über die zukünftige Entwicklung der Union nachzudenken.
Wojahn wies auf die Chancen hin, die die EU Österreich biete. Das Bewusstsein, dass man im Verbund mit 27 Ländern auf internationaler Ebene ganz anders auftreten könne als alleine, sei in Österreich nur sehr bedingt vorhanden. Wojahn sieht hier einen "Mangel an Selbstbewusstsein", der etwa bei den Debatten rund um die Freihandelsverträge zutage getreten sei. Einen Zusammenschluss von 500 Millionen Menschen könne man nicht so einfach übervorteilen. Ganz im Gegenteil: "Europa ist der größte, dickste, kreativste Fisch in der Globalisierung." Der andere große Fisch, die USA, habe sich in sein "Aquarium" zurückgezogen.
Große Rolle für Österreich
Innerhalb der EU könne Österreich eine wichtigere Rolle spielen, meinte Wojahn. Es komme nicht auf die Größe eines Mitgliedslandes an. Auch ein kleines Land, das aktiv sei und gute, innovative Ideen einbringe, könne "vorne mitspielen". Dies könne aber nicht der Fall sein, wenn man nur auf seine eigenen Interessen schaue. "Europa funktioniert nur dort, wo man auf andere hört", meinte Wojahn. Diese Haltung vermisst der Vertreter der Kommission manchmal in Österreich.
Sauer stoßen ihm auch Politiker auf, die der EU gerne die Schuld für schlechte Entwicklungen in die Schuhe schieben wollen. "Wer mit einem Finger auf Brüssel zeigt, zeigt mit drei Fingern auf sich selbst", so Wojahn. Denn auch sie - die nationalen Politiker - seien feste Bestandteile der EU. Auf der Heimfahrt vom EU-Rat würden viele Politiker vergessen, was sie eben noch beschlossen hätten. Es sei dann seine, Wojahns Aufgabe, ihnen die Beschlüsse in Erinnerung zu rufen. Wojahn kritisierte auch, dass die Politiker - auch die lokalen - Europa zu wenig erklärten und zu selten gegen Angriffe verteidigten. Das müssten die Landtagsabgeordneten und Gemeinderäte erledigen. Obwohl er selbst häufig unterwegs sei, um Aufklärungsarbeit zu leisten, verfüge er als Vertreter der EU-Kommission über keine "street credibility".
Abgesehen davon attestiert der gebürtige Deutsche der österreichischen Bevölkerung einen hohen Kenntnisstand in EU-Fragen. Beim EU-Beitritt 1995 seien die Österreicher deutlich besser über die EU informiert gewesen als die Deutschen zu jedem anderen Zeitpunkt. Auch heute noch sei den Österreichern stärker als den Deutschen bewusst, dass die Union einen Teil ihres Lebens ausmache. Genau dort setzt auch die österreichische EU-Skepsis an. "Die Österreicher projizieren zu viel in die EU hinein." Sie würden sich von ihr Dinge erwarten, die gar nicht in den Zuständigkeitsbereich der EU fielen.