Rot-Grün in Niedersachsen ist knapp abgewählt. Drei Wochen nach ihrer historischen Niederlage bei der Bundestagswahl hat die SPD die vorgezogene Landtagswahl in dem deutschen Bundesland zwar spektakulär gewonnen. Wegen deutlicher Verluste der Grünen hat die rot-grüne Koalition aber keine Mehrheit mehr, wie das vorläufige amtliche Endergebnis in der Nacht auf Montag ergab.
Die Koalition in Niedersachsen war das letzte rot-grüne Bündnis in einem Flächenland. Damit steht eine schwierige Regierungsbildung in Niedersachsen bevor.
Die SPD unter Ministerpräsident Stephan Weil legt deutlich zu und wird zum ersten Mal seit 1998 wieder stärkste Kraft. Die CDU fährt mit ihrem Spitzenkandidaten Bernd Althusmann ihr schlechtestes Ergebnis seit 1959 ein, obwohl sie in Umfragen lange vorn gelegen hatte. Die Grünen landen zwar vor der FDP auf Platz drei, erleiden aber starke Einbußen. Die AfD schafft den Einzug ins Parlament, die Linken scheitern.
Was rechnerisch möglich ist
Rechnerisch möglich sind nun eine Große Koalition aus SPD und CDU, ein Ampel-Bündnis von SPD, FDP und Grünen sowie eine Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen, wie sie deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf Bundesebene anstrebt. Die FDP hat eine Ampel-Koalition aber bereits ausgeschlossen. Die Grünen ließen ihre Haltung zu einer Jamaika-Koalition am Wahlabend zunächst offen.
Wahlsieger Weil kündigte an, er wolle mit allen Landtagsparteien außer der AfD sprechen. Er sprach von einem "fulminanten Erfolg" für die SPD: "Wir können zum ersten Mal seit der letzten Landtagswahl mit Gerhard Schröder vor 19 Jahren wieder die stärkste Fraktion im Landtag werden, das ist großartig."
Für Rückenwind sorgte aus seiner Sicht auch, dass sich die SPD im Bund unmittelbar nach der herben Niederlage bei der Bundestagswahl für die Opposition entschieden hatte. Nach einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen geht der SPD-Sieg in Niedersachsen stark auf das hohe Ansehen Weils und auf Landesthemen zurück.
Die Sozialdemokraten verbessern sich nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis auf 36,9 Prozent, gut vier Punkte mehr als 2013. Die CDU kommt nur noch auf 33,6 Prozent, rund zweieinhalb Punkte weniger. Die Grünen rutschen fünf Punkte ab auf 8,7 Prozent. Die FDP landet bei 7,5 Prozent, ein Minus von 2,4 Punkten.
AfD schafft Einzug ins Parlament
Die AfD schafft mit 6,2 Prozent den Einzug ins Parlament, bleibt aber hinter ihren jüngsten Wahlerfolgen zurück. Noch am Wahlabend verschickten Angehörige des Landesvorstandes ein Rundschreiben an die Mitglieder, in dem sie zur Einberufung eines Parteitages und zur Wahl einer neuen Landesspitze aufriefen. Die Linke scheitert mit 4,6 Prozent (3,1). Damit sind künftig fünf statt vier Parteien im Landtag vertreten. Die Wahlbeteiligung stieg auf 63,1 Prozent (59,4).
Die Sitzverteilung sieht mit Überhang- und Ausgleichsmandaten so aus: CDU 50 (2013: 54), SPD 55 (49), Grüne 12 (20), FDP 11 (14) und die AfD 9 (0). Rot-Grün kommt damit auf 67 Mandate. Die absolute Mehrheit liegt bei 69 Mandaten.
Die Neuwahl wurde nötig, weil die Grünen-Abgeordnete Elke Twesten Anfang August von den Grünen zur CDU gewechselt war. Die seit 2013 regierende rot-grüne Koalition verlor damit ihre Ein-Stimmen-Mehrheit, die Stimmung zwischen SPD und Grünen auf der einen und der CDU auf der andere Seite gilt seither als vergiftet.
Für die SPD bedeutet das Ergebnis einen Riesenerfolg zum Ende des Superwahljahres. Neben der Bundestagswahl verlor die Partei in diesem Jahr auch alle drei bisherigen Landtagswahlen. Die Wahl in Niedersachsen könnte auch SPD-Chef Martin Schulz Auftrieb geben, der sich trotz seiner gescheiterten Kanzlerkandidatur im Dezember zur Wiederwahl stellen will. Er hatte unmittelbar nach der Bundestagswahl angekündigt, die SPD in die Opposition zu führen.
Schulz erklärte, was Weil in den letzten Wochen geleistet habe, sei "einzigartig in der Wahlkampfgeschichte der Bundesrepublik Deutschland". Er hoffe, dass die SPD auch bundesweit davon profitiere. SPD-Vize Ralf Stegner wertete den Erfolg als Beleg dafür, dass Schulz die Partei sehr erfolgreich führe. Er werde den Erneuerungsprozess in Richtung einer linken Volkspartei einleiten, "die sich deutlich gegen die Union stellt".
Alarmsignal für Union
Großer Verlierer ist die CDU. Mitte August war sie in Umfragen noch bei rund 40 Prozent gelegen. Der CDU-Wirtschaftsrat gab Merkel eine Mitschuld. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer wertete die Niederlage als "erneutes Alarmsignal" für die gesamte Union. Er kündigte eine klare Haltung der CSU in den anstehenden Sondierungsgesprächen über ein Jamaika-Bündnis auf Bundesebene an. Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin befürchtet, dass die CDU-Pleite die Verhandlungen erschwert.
CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann führte die Verluste auch auf einen negativen Bundestrend zurück: "Es war am Ende eher ein bisschen mehr Gegenwind." Er sieht dennoch einen Auftrag zum Mitregieren: "Auch wir, in welcher Konstellation auch immer, haben einen klaren Gestaltungsauftrag für Niedersachsen". Dies ginge rechnerisch in einer Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen oder als Juniorpartner der SPD in einer Großen Koalition.