Die CDU/CSU ist trotz massiver Verluste klar als stärkste Kraft aus der deutschen Bundestagswahl hervorgegangen. Nach dem vorläufigen Ergebnis des Bundeswahlleiters kam sie am Sonntag auf 33,0 Prozent und verlor damit 8,5 Punkte im Vergleich zu 2013. Die SPD fuhr mit 20,5 Prozent (minus 5,2 Punkte) ihr historisch schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl ein.
Die rechtspopulistische AfD wurde mit 12,6 Prozent drittstärkste Kraft. Der FDP gelang mit 10,7 Prozent der Rückkehr in den Bundestag, aus dem sie 2013 geflogen war. Die Linke holte 9,2 Prozent, die Grünen erreichten 8,9 Prozent. Die Wahlbeteiligung betrug 76,2 Prozent (2013: 71,5).
Die Sitzverteilung sieht nach Angaben des Bundeswahlleiters so aus: CDU/CSU: 246 Mandate, SPD: 153, AfD: 94, FDP: 80, Linke: 69, Grüne: 67.
Nur Jamaika-Koalition möglich
Rechnerisch ist damit außer einer erneuten Großen Koalition nur ein Jamaika-Bündnis aus Union, Grünen und FDP möglich. Die SPD kündigte allerdings bereits an, sie wolle in die Opposition gehen.
Mit 709 Abgeordneten ist der Bundestag in der neuen Wahlperiode so groß wie nie zuvor. Bisher gehörten dem Parlament 630 Abgeordnete an. Den bislang größten Bundestag gab es 1994 mit 672 Abgeordneten. Ohne Überhang und Ausgleichsmandate hätte der Bundestag eigentlich nur 598 Sitze, je zur Hälfte Direkt- und Listenmandate.
Was macht das Jamaika-Bündnis aus?
An Selbstbewusstsein mangelt es den Grünen nach ihrem Wahlerfolg und der FDP nach ihrem grandiosen Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag nicht. Die Grünen ziehen nach den Hochrechnungen nicht als schwächste Kraft in den Bundestag ein. Und an der etwas stärkeren FDP führt auch kein Weg vorbei, wenn Deutschland nicht noch einmal von einer Großen Koalition regiert werden soll.
Als bloße Stützräder für die CDU/CSU in einem schwarz-gelb-grünen, sogenannten Jamaika-Bündnis sehen sich nach diesem Wahlsonntag weder die Grünen noch die Liberalen.
Auf den ersten Blick steht Jamaika für Fortschritt und Bewahren zugleich: Die FDP treibt die Digitalisierung und den Wettbewerb mit weniger Staat voran, die Grünen den Klimaschutz und Europa. Und die Union sorgt für innere und äußere Sicherheit. Steuern senken wollen ohnehin alle und insbesondere die unteren und mittleren Einkommen entlasten. Kein Problem also. Ganz so einfach wie auf dem Wahlprogramm-Papier wird es aber mit dem Dreierbündnis nicht.
Jamaika ist eigentlich ein Viererbündnis
Denn "Jamaika" ist eigentlich ein Viererbündnis - mit einer klar geschwächten und daher künftig umso unberechenbareren CSU, der bayerischen Schwesterpartei der Christdemokraten. Was die inhaltlichen Gräben zwischen den Vielleicht-Jamaika-Partnern noch tiefer werden lässt. Mehr oder weniger rote Linien haben alle potenziellen Partner gezogen - in der Klima- und Sozialpolitik, vor allem aber in der Flüchtlings- und Einwanderungspolitik. Zoff dürfte es insbesondere zwischen CSU und Grünen geben.
Beispiel KLIMASCHUTZ: Die Grünen treten in ihrem Wahlprogramm dafür ein, ab dem Jahr 2030 keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr neu zuzulassen. Die CSU wiederum will keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem ein Enddatum für den Verbrennungsmotor festgehalten ist. Die Liberalen halten nichts von einem Verbot von Verbrennungsmotoren. CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel sieht den Verbrennungsmotor allenfalls als eine Brückentechnologie an.
In der ENERGIEPOLITIK könnten die Jamaika-Partner zusammenkommen, wenn alle Kompromisse machen. Die Grünen wollen die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke sofort dicht machen und bis 2030 ganz aus der Kohle aussteigen. Die Union ist für einen Ausstieg zumindest aus der Braunkohle, ohne sich aber auf ein Datum festzulegen. Die FDP geriert sich als Partei des Wettbewerbs, schlanken Staates und des freien Unternehmertums. Sie will weniger Vorgaben, etwa bei Treibhausgasen. An der Energiepolitik und der Rolle des Staates dürfte Jamaika wohl eher nicht scheitern.
Schwieriger könnte es in Sachen LANDWIRTSCHAFT werden, etwa, wenn es um Massentierhaltung und Agrar-Industrie geht. Die Union sieht sich eher an der Seite der traditionellen Bauern. Aber Gemeinsamkeiten gibt es hier durchaus - selbst zwischen den Grünen und der CSU.
Richtig kompliziert wird es in der FLÜCHTLINGS- und EINWANDERUNGSPOLITIK. Hier dürften zumindest FDP und Grüne an einem Strang ziehen. Wenn es um Bürgerrechte geht und darum, die Union im Bestreben nach schärferen Sicherheitsgesetzen zu bremsen. Eine Obergrenze für Flüchtlinge ist schon unter CDU und CSU heftig umstritten, die Grünen sind dagegen und für erleichterten Familiennachzug. FDP und Grüne sind für ein Einwanderungsgesetz und ein Punktesystem zur Steuerung der Zuwanderung. Auch hier müssen sich zunächst CDU und CSU auf einen gemeinsam Nenner verständigen.
In der STEUERPOLITIK gibt es Schnittmengen. Entlastungsversprechen standen ohnehin in diesem Wahlkampf nicht so im Mittelpunkt. Untere und mittlere Einkommen wollen alle Parteien entlasten - die einen mehr, die anderen weniger. Den Solidaritätszuschlag abzuschaffen, versprechen ebenfalls alle. Problematisch wird es, wenn es um Mehrbelastungen hoher Einkommen, Erbschaften und von Topvermögen geht.
In der EUROPAPOLITIK sorgt vor allem die FDP im Ausland für Unruhe. Die Liberalen könnten die neue Regierung dazu drängen, bei den Euro-Regeln kompromissloser aufzutreten. Verhandlungen mit Frankreich und anderen Euro-Partnern über eine Reform der Eurozone werden mit den Liberalen nicht einfacher. Sie sind da mit der CSU eher auf einer Linie, Grüne und CDU auf der anderen Seite. Athen und Paris dürften den Koalitionspoker sehr genau verfolgen.