Als Piefke sollte ich mich in österreichische Angelegenheiten besser nicht einmischen. Wenn ich dies dennoch tue, dann vor allem deswegen, weil ich ein halber Österreicher bin. Meine Mutter, Jahrgang 1905, war eine Krakauerin, und Krakau war bis 1918 so österreichisch wie Brünn, Lemberg und Triest. Ich bin mit Karfiol, Paradeisern und Topfenknödeln aufgewachsen, einmal die Woche gab es bei uns Würstelgulasch, mit reichlich Apfelkren als Beilage. Ohne unbescheiden zu sein, möchte ich außerdem darauf hinweisen, dass ich wohl der einzige Piefke bin, der sich Anfang des Jahres 2000, als die ÖVP mit der FPÖ koalierte und daraufhin 14 EU-Staaten sehr ungehalten reagierten, mit Österreich solidarisch erklärte und von „Sanktionen“ gegen das Land abriet. Worauf mir einige meiner linken Freunde aus der Antifa die Freundschaft kündigten.
Was diese kleine Alpenrepublik angeht, bin ich also befangen und zu einem objektiven Urteil nicht fähig.
Nun habe ich vor ein paar Tagen in einem Zeitungsbericht gelesen, Österreich sei bei einer Umfrage in Sachen „Gastfreundschaft“ sehr schlecht davongekommen, „als eines der unfreundlichsten Länder überhaupt“, nur Kuwait wurde noch schlechter benotet.
Befragt wurden 13.000 Personen in 65 Ländern, sogenannte „Expats“, die fern der Heimat in einem Land lebten, in das sie berufshalber oder aus privaten Gründen gezogen sind. Die in Österreich lebenden „Expats“ - ich vermute, dass es sich zum großen Teil um die Mitarbeiter der in Wien tätigen internationalen Organisationen handelt - finden es „schwierig, Deutsch zu lernen“ und sich „ohne Kenntnisse der Landessprache in Österreich zurechtzufinden“. Vielen fällt es auch nicht leicht, „unter den Einheimischen Freunde zu finden“.
Welche Frage(n)?
Ich bin solchen Umfragen gegenüber ebenso skeptisch wie Wahlvorhersagen. Um die Antworten bewerten zu können, müsste man wissen, welche Fragen gestellt wurden. Und wie sie formuliert waren. Erstaunlich finde ich zudem, dass Staaten wie Bahrain, Costa Rica, Mexiko, Taiwan und Kolumbien unter „Expats“ besser abschnitten als Österreich. Sollte es in Taiwan leichter sein, sich ohne Kenntnis der Landessprache zurechtzufinden? Und in Kolumbien einfacher, sich mit Einheimischen anzufreunden? Das kann ich nicht glauben. Aber das mag auch damit zu tun haben, dass ich noch nie in Taiwan oder in Kolumbien war. Es gibt auch nichts, das mich nach Bahrain ziehen würde.
Meine Erfahrungen sind andere. Die Österreicher sind freundlich und gastfreundlich, auch uns Piefkes gegenüber, obwohl sie wissen, dass wir sie für entfernte Verwandte halten, die im Laufe der Geschichte einen eigenen Stammbaum gepflanzt haben. Für uns ist Österreich irgendetwas, das an Deutschland dranhängt - historisch, politisch, wirtschaftlich und kulturell, am ehesten Bayern vergleichbar, das sich „Freistaat“ nennt und auf seine „transatlantischen Beziehungen“ stolz ist, wozu auch eine bayerische Vertretung in der kanadischen Metropole Montreal gehört. Es gibt sogar eine Repräsentanz des Freistaats Bayern in Prag. Ich wundere mich, dass Bayern noch keine Botschaft in Wien eröffnet hat.
Einfach übersehen
Es kommt vor, dass Österreich in Deutschland einfach übersehen wird. In der Tagesschau der ARD wurde neulich berichtet, an der „deutsch-ungarischen Grenze“ würden die Maßnahmen zur Abwehr von Flüchtlingen verstärkt. Erst auf die Intervention eines Zuschauers hin gab die Redaktion zu, dass es eine deutsch-ungarische Grenze derzeit nicht gibt. Und wenn im „Hotel zur Post“ in Fürstenfeldbruck bei München die „Österreichischen Wochen“ ausgerufen werden, dann dreht sich alles um „gut durchdachte Kompositionen, aus erlesenen Zutaten“ wie die Steirische Krensuppe mit Schinkenkrusteln und Brotblattln, das Fiakergulasch mit Spiegelei und Semmelknödeln und die Wachauer Marillenknödel, nicht etwa die Ouvertüre zur „Zauberflöte“ oder den Epilog aus den „Letzten Tagen der Menschheit“.
Im Fokus: Die Küche
Wir Piefkes neigen dazu, Österreich auf seine Küche einzudampfen, wofür es natürlich viele gute Gründe gibt, unter anderem das Jägerschnitzel, den Saumagen und die Königsberger Klopse, von regionalen Gerichten wie Labskaus, Grünkohl mit Pinkel und gekochten Eiern in grüner Soße ganz zu schweigen. Ein Besuch in einem ganz normalen Welser oder Kremser Beisl beweist uns immer wieder, wie zurückgeblieben unsere Esskultur ist, weswegen wir uns so gerne bei den Italienern, den Griechen und den Franzosen bedienen.
Wer wie ich in Berlin lebt, kann zwar unter vielen verschiedenen „Küchen“ wählen, wünscht sich aber trotzdem, die Habsburger hätten die Schlacht von Königgrätz gegen die Preußen nicht verloren. Man wird übrigens auch mit Höflichkeit in Berlin nicht verwöhnt. Fragt man einen Busfahrer, wo man zur S-Bahn umsteigen soll, muss man damit rechnen, dass er, ohne einen anzusehen, antwortet: „Machen Sie sich doch kundig, bevor Sie losfahren.“ Warum also die Österreicher als unfreundlich und wenig gastfreundlich gelten, erschließt sich mir nicht, weder nach dem ersten noch dem zweiten Marillenlikör. Ich vermute, solche Gerüchte, die sich im Laufe der Zeit verfestigen, haben einen sehr konkreten Grund.
Land des Lächelns
Was uns als „die europäische Idee“ angepriesen wird, also die deutsch-französische Doppelspitze, hat gerade die kleineren Nationen in Europa dafür hellhörig gemacht, wie schnell sie unter die Räder der „Integration“ geraten können. Österreich hat sich lange damit zufriedengegeben, das Land des Lächelns zu sein. Unser Bild von Österreich wurde von der Trapp-Familie, Hans Moser und dem Personal im „Weißen Rössl“ bestimmt. Große Geister wie Thomas Bernhard, Helmut Qualtinger und André Heller wurden zwar gewürdigt, galten aber als eher atypisch. Zu kritisch, zu intellektuell, zu abgehoben.
Das österreichische Image ändert sich. Das Land exportiert nicht nur Mozartkugeln, sondern auch Handfeuerwaffen. Und es mischt sich in einer Weise in die internationale Politik ein, die nicht wenige als ungehörig betrachten. Was erlauben, Graf Bobby?
Eine Frage des Selbstbewusstseins
Der EU die Stirn bieten? Frau Merkel widersprechen? Nicht jedem die Einreise erlauben? Das ist keine Frage der Manieren oder der Freundlichkeit, es ist eine Frage des Selbstbewusstseins. Und das wird vor allem von einem Österreicher verkörpert: Sebastian Kurz. Was haben wir gelacht, als der Mann mit 27 Jahren Außenminister wurde. Und nun, vier Jahre später, lehrt er uns das Fürchten. Er will Kanzler werden und die österreichische Politik neu ausrichten. Sein Programm: Österreich zuerst. Das könnte ein Grund dafür sein, warum viele Expats in Österreich ein ungutes Gefühl beschleicht. Wo bleibt denn die sprichwörtliche österreichische Gastfreundschaft? Jetzt ist es der Schani von gegenüber, der „bitte zahlen!“ ruft. Dass der das darf! Peter Handke würde sagen: Das Mündel ist es leid, sich bevormunden zu lassen. Es will mit am großen Tisch sitzen und ordentlich bedient werden.
Henryk M. Broder