Zum Auftakt des einzigen TV-Duells zwischen der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und Martin Schulz hat der SPD-Spitzenkandidat der Kanzlerin Fehler in der Flüchtlingspolitik vorgeworfen. Merkel hätte auf dem Höhepunkt der Krise im Sommer 2015 die europäischen Partner früher einbinden müssen, sagte Schulz am Sonntagabend.

Nur weil die Kanzlerin dies nicht getan habe, könnten sich heute etwa Ungarn und Polen bei der Aufnahme der Menschen aus der Verantwortung stehlen. Merkel konterte, der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban sei von Anfang an nicht bereit gewesen, in der Krise zusammenzuarbeiten.

Merkel: "Es musste entschieden werden"

Merkel rechtfertigte die Grenzöffnung für in Ungarn festsitzende Flüchtlinge im September 2015. "Es musste entschieden werden", erklärte sie. Der österreichische Bundeskanzler (Werner Faymann, Anm.) habe sie angerufen, dass die Menschen zu Fuß über die Grenze kommen würden. Die Situation sei sehr dramatisch gewesen.

Sie räumte aber Versäumnisse vor der Krise ein. Die deutsche Bundesregierung habe sich zu wenig um die Flüchtlingslager in der Türkei und etwa in Jordanien und dem Libanon gekümmert. Das Abkommen mit der Türkei sei dann aber die richtige Antwort gewesen: "Ich halte es nach wie vor für absolut richtig." Schulz betonte, er könne jedenfalls nicht dazu raten, alles noch einmal genauso zu machen wie 2015.

Schulz: Keine Beitrittsverhandlungen mit Türkei

Schulz kündigte an, als Kanzler einen härteren Kurs gegen die Türkei fahren zu wollen. "Wenn ich Kanzler bin, werde ich die Beitrittsverhandlungen mit der EU abbrechen", sagt sie. Das Verhalten der Türkei lasse keine andere Wahl, obwohl er sich lange für den EU-Beitritt ausgesprochen habe. "Hier sind alle roten Linien überschritten. Der Punkt ist beendet."

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich zurückhaltend zu einem Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei geäußert. Dafür sei ein einstimmiger Beschluss der EU nötig, sagte sie. Sie werde aber mit ihren "Kollegen (in der EU) noch einmal reden, ob wir zu einer gemeinsamen Position kommen können und diese Beitrittsverhandlungen auch beenden können".

"Die Türkei entfernt sich in einem atemberaubenden Tempo von allen demokratischen Gepflogenheiten", kritisierte Merkel im TV-Duell mit dem SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz am Sonntagabend. Sie erklärte aber, dass sie am Freitag mit Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) noch einig gewesen sei, keinen Abbruch der Beitrittsverhandlungen zu fordern. "Die Beitrittsverhandlungen sind im Moment sowieso nicht existent", sagte sie.

Merkel will finanzielle Beitrittshilfen für Türkei einfrieren

Merkel plädierte allerdings für ein Einfrieren der finanziellen Beitrittshilfen für die Türkei in Milliardenhöhe. Nach einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags ist das komplette Einfrieren dieser Hilfen aber ohne einen Stopp der Beitrittsverhandlungen nicht möglich. Auch Schulz forderte, diese Gelder nicht mehr auszuzahlen.

Merkel plädierte dafür, wirtschaftlichen Druck auf die Türkei auszuüben, um eine Freilassung der aus politischen Gründen inhaftierten Deutschen zu erreichen. Sie sprach von einer Einschränkung von Exporthilfen und einer Prüfung "stärkerer Reisewarnungen". Die Reisehinweise sind bereits vom Auswärtigen Amt verschärft worden.

Schulz relativiert "Anschlag auf Demokratie"

Zu Beginn relativierte Schulz seinen Vorwurf gegen Merkel, sie unternehme mit ihrer inhaltsarmen Politik einen "Anschlag auf die Demokratie". Dies sei eine "harte und zugespitzte Formulierung" gewesen, die er so nicht noch einmal sagen würde. Er habe zum Ausdruck bringen wollen, "dass man die Demokratie nicht im Schlafwagen voranbringt", sagte Schulz weiter. Kontroverse Debatten seien das "Salz in der Demokratie". Die Verweigerung von politischen Debatten stärke "vor allem die rechten Ränder".

In seiner Rede beim SPD-Parteitag in Dortmund im Juni hatte Schulz der Kanzlerin vorgeworfen, "systematisch die Debatte um die Zukunft des Landes zu verweigern". Dies sei "ein Anschlag auf die Demokratie". Der Vorwurf stieß bei der CDU auf heftige Kritik.

Trotz des Umfragerückstands der SPD sieht Schulz weiterhin Chancen für einen Stimmungswandel. "Jeder zweite Bürger hat sich noch nicht entschieden", sagte er. Nun wolle er den gemeinsamen Auftritt mit Merkel dazu nutzen, "die Fragen der Menschen zu beantworten".