Die traditionelle Stammwählergruppen der SPD - die Arbeiter - und der Union aus CDU und CSU - die gläubigen Katholiken - sind kleiner geworden. Beide Volksparteien sind in die politische Mitte gerückt und werben dort um Wähler. Die Union ist dabei offensichtlich erfolgreicher, wie der deutliche Vorsprung vor der SPD zeigt. Was macht den Unterschied aus?
Albrecht Von Lucke: Frau Merkel ist der entscheidende Unterschied. Schulz hat es nie geschafft, den enormen Vertrauensvorsprung von der Kanzlerin, den sie trotz aller Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik genießt, zu verringern. Er hat es nicht geschafft den am Anfang durchaus vorhandenen Zuspruch in echte Symphatiewerte umzumünzen. Das ist ihm durch viele eigene Fehler nicht gelungen. Er hat vor allem nicht rechtzeitig ein eigenes Programm geliefert, war schnell wieder verschwunden und hat die Emphase in breite Irritation überführt.
Kann Schulz das im TV-Duell noch einmal drehen?
Von Lucke: Für Schulz ist das die letzte minimale Chance. Wenn er das TV-Duell nicht nutzt und es ihm nicht gelingt, der immer-wagen Kanzlerin etwas entgegenzusetzen, sie in eine inhaltliche Auseinandersetzung zu zwingen und inhaltlich klar zu punkten, dann ist die Wahl entschieden. Dann geht es nur noch um den dritten Platz und die Frage, wer mit Merkel regieren wird. Es spricht aber schon vorher alles für sie. Schulz müsste imminent aufholen, um überhaupt nur eine Koalitionsmöglichkeit für sich zu eröffnen. Denn die Ampel und auch Rot-Rot-Grün sind faktisch schon ausgeschlossen.
Der Wahlkampf ist also vorbei, bevor er überhaupt richtig angefangen hat.
Von Lucke: Die Wahl ist schon wieder vorzeitig entschieden wie auch 2009 gegen Peer Steinbrück und 2013 gegen Frank-Walter Steinmeier. Das ist erstaunlich nachdem Martin Schulz am Anfang des Jahres etwas Anderes verkörperte. Er hat den gewonnen Boden wieder verspielt. So ist der Abstand hausgemacht.
Was ist genau schiefgelaufen?
Von Lucke: Er hat den den Zuspruch nicht genutzt. Ich sah diese Begeisterung nicht nur für ihn als Person sondern auch als Wunsch nach einer alten SPD - also nach einer Partei sozialer Gerechtigkeit vor schröderscher Couleur. Er hat keine inhaltliche Untermauerung geboten und sich im Gegenteil sogar schnell wieder abgemeldet. Ende Jänner wurde er von Sigmar Gabriel zum Kanzlerkandidaten gekürt und am 17. März mit 100 Prozent von der Partei gewählt. Danach ist er bis zur Wahlniederlage der SPD in Nordrhein-Westfalen am 15. Mai nicht mehr gesehen worden. Er war damit praktisch zwei Monate außer Gefecht. In dieser Zeit ist Merkel wieder gestärkt, die Risse in der Union gekittet und die Wahl verloren worden.
Albrecht von Lucke ist einer der renommiertesten Politpologen in Deutschland und Redakteur der "Blätter für deutsche und international Politik".
Ingo Hasewend