Nur wenige Augenzeugen trauen sich, darüber zu sprechen. Selbst für Journalisten in Myanmar ist es ein heikles Thema. Auch sie wollen sich nicht äußern. Überlebende berichten von Vertreibungen, Morden, Massenvergewaltigungen und Folter durch die Soldaten. Es ist ein alter Konflikt zwischen der buddhistischen Mehrheitsbevölkerung und einer kleinen muslimischen Minderheit, der nun erneut in Unruhen im südostasiatischen Land eskaliert.


Angehörige der Minderheit Rohingyahatten Ende vergangener Woche mehrere Polizei- und Militärposten überfallen. Bei einem Gegenschlag der Sicherheitskräfte kamen mindestens 71 Menschen ums Leben, die meisten von ihnen sind Rohingya. Es handelt sich um die schlimmsten Auseinandersetzungen seit etwa fünf Jahren.


Die selbst für Myanmars Verhältnisse in großer Armut lebenden Muslime gelten als eine der am meisten verfolgten Minderheiten der Welt. Die Regierung in Naypyidaw erkennt die teils seit Generationen im Land lebenden Menschen nicht als Staatsbürger an. Sie gelten als „Mitbringsel“ der einstigen britischen Kolonialherren aus dem heutigen Bangladesch. Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit, einem erschwerten Zugang zu Bildungs- und Gesundheitswesen, Enteignung und Zwangsarbeit sind die Folge. „Die Briten haben damals Bengalen in die Region umgesiedelt. Das haben die dort ansässigen Buddhisten als Maßnahme gesehen, um die lokalen Strukturen zu unterminieren“, erklärt Bernt Berger, Myanmar-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. „Außerdem gibt es in Myanmar seit jeher die Tendenz zum buddhistischen Absolutismus.“

Royingha-Minderheit in Myanmar
Royingha-Minderheit in Myanmar © Kleine Zeitung


Im Oktober 2016 kamen bei Angriffen auf Grenzposten zu Bangladesch mehrere Menschen ums Leben. Die Attacken wurden radikalisierten Rohingya-Rebellen zugeschrieben. Die Armee startete daraufhin eine Offensive. Seither hat sich die Lage für Muslime erneut verschlechtert.
Die jüngste Gewaltwelle hat nun Zehntausende Menschen in die Flucht getrieben. Rund 18.000 Rohingya seien nach Schätzungen der der Internationalen Organisation für Migration bereits über die Grenze nach Bangladesch geflüchtet. Mindestens 16 Menschen sind allein am Donnerstag  auf der Flucht in ein Land – in dem sie ebenfalls nicht erwünscht sind – ertrunken. Die Regierung in Dhaka hält die Mitglieder der Rohingya-Minderheit von der Einreise ab, während die Vereinten Nationen das Land zur Grenzöffnung für die Verfolgten drängen. Bangladesch schlug Myanmar sogar ein gemeinsames militärisches Vorgehen gegen die Rebellen vor. In Myanmar kippt mittlerweile auch die Stimmung in der Bevölkerung zu Ungunsten der verfolgten Minderheit. „Der Großteil der gebildeten Oberschicht ist der Meinung, dass sich die Rohingya in Myanmar gar nicht hätten ansiedeln dürften. Und dadurch hätten sie auch kein Recht hier zu leben“, führt Berger aus.

Radikale buddhistische Mönche, Fake-News und Gerüchte über Übergriffe, heizen die Stimmung gegen Muslime allgemein an. Muslimsche Einrichtungen wie etwa Waisenhäuser wollen in der Nachbarschaft nicht mehr auffallen – aus Angst vor Übergriffen. „Das tägliche Leben für uns Muslime wird von Tag zu Tag schwieriger“, sagt der 25-jährige Arzt C. aus Yangon der Kleinen Zeitung. Er will anonym bleiben, aus Angst stärker angefeindet zu werden. „Es ist schwer eine Stelle als Arzt zu finden. Ich bekomme keinen Pass, nur weil ich Muslim bin“, erzählt C. weiter.
Die Hoffnung vieler Muslime, ihre Situation würde sich nach dem Ende der Militärdiktatur und der Machtübernahme durch die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyiverbessern, hat sich nicht erfüllt. Auch Suu Kyi weigerte sich, den Rohingya mehr Rechte zuzugestehen und spricht sogar vom Einsatz gegen „Terroristen“. Berger erklärt warum: „Würde sie öffentlich für die Rohingya auftreten, würde sie in den Wahlumfragen sofort abstürzen.“ Außerdem fehle es der Partei der Nobelpreisträgerin an Expertise zur Lösung solcher Konflikte. „Die Meinungsfreiheit hat sich ebenfalls nicht unbedingt verbessert. Seit Suu Kyi an der Macht ist, ist eher schlimmer geworden als besser“, sagt Berger. Ein Ende der Spirale aus Diskriminierung und Radikalisierung scheint daher nicht in Sicht.