Die Bilder aus der irakischen Stadt Mossul sind gerade erst verblasst. Jubelnd feuerten irakische Soldaten Salven in die Luft und feierten nach acht Monaten härtester Straßenkämpfe ihren Sieg über die Terrormiliz, die sich vollmundig „Islamischer Staat“ nennt. Parallel dazu sind in der syrischen IS-Hochburg Raqqa die alliierten Angreifer inzwischen bis ins Stadtzentrum vorgedrungen.
Zwei Drittel ihres einstigen Territoriums auf dem Gebiet Syriens und des Irak haben die Anhänger von Abu Bakr al-Baghdadi inzwischen verloren. Auch die Einnahmen aus dem Ölgeschäft und die erhobenen Steuern sind massiv eingebrochen. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die Reste des blutrünstigen, selbst ernannten „Gottesstaates“ in Trümmern liegen. Einige Experten rechnen damit, dass das von der Terrormiliz am 29. Juni 2014 ausgerufene Kalifat noch heuer aufhören wird, als Staatsgebilde physisch zu bestehen.
Die doppelte Tragödie von Barcelona, Cambrils und auch Turku jedoch zeigt, wie zuvor die Mordtaten in London, Manchester, Nizza, Brüssel, Paris und Berlin, mit einem militärischen Erfolg auf dem nahöstlichen Schlachtfeld ist der IS keineswegs besiegt. Im Gegenteil - für Europa könnten nach einem Ende des „Islamischen Kalifats“ die Terrorgefahren ganz neue Dimensionen annehmen.
Denn die bedrängten Gotteskrieger, wie sie sich selbst bezeichnen, werden sich weit mehr als bisher auf Attentate in der westlichen Welt konzentrieren, um Rache zu nehmen für den internationalen Feldzug gegen ihr Herrschaftsgebiet.
Einzelheiten mag man sich noch gar nicht vorstellen. Denn die Fanatiker experimentieren offenbar mit Giftgas und in Laptops versteckten Bomben. Die Anzahl und die bösartige Tarnung der in Mossul hinterlassenen Sprengfallen machen selbst erfahrene Bombenentschärfer sprachlos.
Inzwischen beherrschen die Jihadisten auch das Abwerfen von Bomben durch kleine, akkubetriebene Drohnen. Obendrein kursieren im Internet detaillierte Ratschläge für Terrortaten mit Messern, Kalaschnikows und Lastwagen, seit Kurzem auch die Bauanleitung für einen Schienenapparat, der Schnellzüge zum Entgleisen bringen soll.
Rund 30.000 ausländische Kämpfer aus hundert Nationen standen einst unter dem Kommando der Terrororganisation. Ein beträchtlicher Teil ist in den Gefechten ums Leben gekommen oder hat sich in den verbliebenen Enklaven auf syrischem und irakischem Territorium verschanzt.
Andere sind unter dem Druck der Niederlage in Mossul und der drohenden Niederlage in Raqqa abgetaucht, bilden jetzt autonome Guerilla-Zellen und agieren auf eigene Faust. Von vielen ausländischen Jihadisten aber fehlt jede Spur. Niemand weiß, wo sie sich aufhalten und was sie vorhaben. Dagegen sind einige Hundert Männer, aber auch Frauen und Jugendliche inzwischen in ihre Heimatländer Deutschland, Frankreich, Belgien, England oder Skandinavien zurückgekehrt.
Auch in Österreich rechnet das Innenministerium mit einer verstärkten Rückkehr von Extremisten aus Syrien und dem Irak. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) sprach im Juni in seinem Jahresbericht 2016 von 141 „Personen mit Gefährdungspotenzial“. Davon seien 90 Rückkehrer und 51 an der Ausreise in den Jihad gehinderte Personen. Weitere 45 IS-Kämpfer, die den österreichischen Behörden bekannt waren, wurden bei Kämpfen im Ausland getötet. 110 Personen dürften sich nach dem Bericht des BTV noch immer im Kampfgebiet des IS befinden. Insgesamt geht der Verfassungsschutz von 296 sogenannten „Foreign Fighters“ aus.
Die Sicherheitsbehörden in Österreich gehen in ihrem Jahresbericht ebenfalls davon aus, dass diese Rückkehrer „im Kampfgebiet an Kampfhandlungen beziehungsweise an einer militärischen Ausbildung teilgenommen haben oder im Bau von Sprengvorrichtungen und zur Durchführung von Selbstmordanschlägen geschult“ worden seien. Deshalb würde von diesen Personen auch eine besondere Gefahr ausgehen.
Und mit jeder weiteren Niederlage des IS im Nahen Osten werden es mehr, die dem Kampfgebiet den Rücken kehren und in ihre Heimatländer zurückkommen. Ein Teil hat sich glaubhaft von der Gewaltideologie losgesagt und kooperiert mit den heimischen Sicherheitsbehörden. Ein anderer Teil hat der Terrormiliz nach eigener Darstellung offiziell den Rücken gekehrt, bleibt aber anfällig für radikalen Fundamentalismus und lebt als tickende Zeitbombe in den salafistischen Moscheemilieus der europäischen Städte. Hochgefährlich, weil mit konkreten Anschlagsplänen im Kopf, ist bislang nur eine Handvoll Extremisten zurückgekommen.
Aber auch dies kann sich schnell zum Schlechteren wenden, sollte in der nächsten Zeit unter dem Druck der alliierten Militäroffensive auch der Exodus des harten Kerns aus Syrien und aus dem Irak beginnen. Deren Kommandos werden den Terror dann mit aller Kraft internationalisieren - und sie haben vor allem Europa im Visier. Für den Terrorexperten Peter Neumann vom King's College in London sind das vor allem jene Staaten, die Teil der Koalition gegen den IS sind.
Ein Ende der Hoheit über ein Gebiet wäre nach den Worten Neumanns nicht gleichbedeutend mit dem Ende der Idee. Die ideologische Ausstrahlung des IS ist ungebrochen. Und es mangelt nicht an Sympathisanten, die sich zu weiteren Mordtaten anstiften lassen könnten, auch wenn sie nie auf dem nahöstlichen Kriegsschauplatz waren.