Seit seinem Amtsantritt fragt sich die Welt: Wer ist Donald Trump wirklich? Was ist Show, und was Ernst? Weiß der Präsident der Vereinigten Staaten als vorerst letzter verbliebener Supermacht, was er tut?
Was er sich denkt, und ob er denkt, bevor seine Finger über die Tasten eilen um den nächsten Tweet abzusetzen, weiß man nicht. Was er sagt und was er tut, lässt professionelle und unbedarfte Beobachter täglich schauern.
>> Tödliche Gewalt bei Ku-Klux-Klan Demo
Trump ist ein Mann der großen Geste und der starken Sprüche, das hat er zur Genüge bewiesen. Da mag auch eine gewisse Taktik dahinter stehen: In einer Welt, die auch politisch nach wie vor von Machos beherrscht wird und in der männliches Imponiergehabe zum Basisrepertoir machtpolitisch orientierten Handelns gehört, mag es Eindruck machen, wenn ein Präsident Entschlossenheit signalisiert.
In Zusammenhang mit der Kraftmeierei, im Zuge derer er und sein Widerpart, Nordkoreas Präsident Kim Jong-un, sich nichts schenken, wurde ihm zuletzt sogar fast Strategie unterstellt, weil man sich daran erinnerte, dass er schon vor der Wahl seiner Auffassung Luft gemacht hatte, wonach die USA die einzige Großmacht der Welt seien, die berechenbar sind, und genau diese Berechenbarkeit sie im Kräftemessen mit China und Russland schwäche.
Niederlage oder Verderben
Das Problem: Kraftmeierei ist auf lange Sicht nur wirkungsvoll, wenn der Gegner berechtigte Sorge haben muss, dass die Drohungen auch wahr gemacht werden. Im Falle Nordkoreas kann Trump seine Drohung, atomare Waffen einzusetzen, entweder nicht wahrmachen, dann endet das Kräftemessen mit einer Niederlage. Oder er tut es, dann stürzt endgültig ein Verrückter die Welt ins Verderben.
Dass er im Gespräch mit dem Statthalter auf der Insel von Guam, vor deren Küste Kim Jong-un Raketen ins Meer feuern will (eine Drohung, die im Vergleich dazu sehr wohl machbar ist und wohl auch umgesetzt werden wird) launige Worte dazu findet, dass das wenigstens die Zahl der (militärischen) Touristen auf der Insel erhöhen werde, und dass dieser das Protokoll auch noch veröffentlicht, ist eine jener Begleiterscheinungen, die dem Beobachter nur noch den Mund offen stehen lässt.
Der Mann will Krieg. Zumindest den Krieg der Worte, und er scheut nicht davor zurück, einen Krieg mit Waffen zu riskieren. Aus einer Sehnsucht heraus, endlich jenen Auftritt als starker Mann aufs Parkett legen zu können, der die Wirkung entfaltet, die er sich so wünscht.
Nach den Ausschreitungen in Charlottesville hätte er dazu Gelegenheit gehabt. Gelegenheit zu einem starken Auftritt im eigenen Land. Doch der Präsident hat - wieder einmal - gnadenlos versagt. Zu spät, zu lasch, zu unentschlossen hat er die rechte Gewalt verurteilt, den drei Opfern des rechtsradikalen Pöbels seine Anteilnahme widerfahren lassen. Am falschen Ort - im Golfclub, zur falschen Zeit - lange nach allen anderen, und mit der falschen Haltung - indem er Gewalt "von vielen Seiten" verurteilt, nachdem ein Auto in eine Gruppe friedlicher Gegendemonstranten gerast war und eine Frau getötet hatte.
Mangel an Werten
Klarer als bei allen anderen Gelegenheiten zuvor trat zu Tage, was das Grundproblem des Präsidenten ist: Es mangelt ihm an moralischer Festigkeit, an den "Werten", wenn man so will. Trumps Wahl ist von rechtsextremen Kreisen unterstützt und bejubelt worden. Umso mehr hätte er nach der Gewaltorgie Position beziehen, sich abgrenzen müssen.
Abgeordnete seiner eigenen Partei fanden diese klaren Worte, sind entsetzt über ihren Präsidenten. Einmal mehr. Neonazis und Ku-Klux-Klan sind ein No Go für Politikerinnen und Politiker, die sich der amerikanischen Verfassung verpflichtet fühlen. Die sogenannte Alt-Right-Bewegung (die "alternativen Rechten") geben diesen gewaltbereiten Extremisten eine Stimme, und einer ihrer Proponenten, Steve Bannon, ist immer noch enger Berater von Donald Trump. Seine "Breitbart News" befeuerten die Stimmung für den Kandidaten Trump als einen, der diesen Stimmen endlich Gewicht verleihen kann.
Neonazis im Krieg
"Ich gebe die Schuld an vielem, was wir heute in Amerika sehen, dem Weißen Haus und den Leuten um den Präsidenten", sagt Charlottesvilles Bürgermeister Michael Signer. "Ich hoffe, dass er einen Blick in den Spiegel wirft und scharf darüber nachdenkt, mit wem er im Wahlkampf verkehrte."
Es schaut nicht danach aus. Die Geister, die Trump rief, wird er nicht los. Die Ereignisse von Charlottesville werden eingehen als jener Moment, in dem sich Donald Trump nach seinen vielen Fehltritten auf dem politischen Parkett auch moralisch entblättert hat.
Die Neonazis bedankten sich auf ihrer Website dafür, dass Trump sie nicht verurteilt hat, und merken an: "Wir befinden uns jetzt im Krieg. Und wir werden keinen Rückzieher machen."
Claudia Gigler