Das verbale Säbelrasseln wird immer lauter. Nordkorea droht Donald Trump mit einem Atomangriff und warnt, „es wäre ein Irrtum zu glauben, die USA seien sicher“. Das Weiße Haus erklärt, alle Optionen lägen auf dem Tisch, Trump droht mit "Feuer und Wut". Wie groß schätzen Sie die Gefahr eines Krieges ein?

ERIC BALLBACH: Die Lage ist brisant, aber ich sehe trotz der sich verschärfenden Rhetorik zumindest im Moment keine akute Gefahr eines militärischen Konfliktes. Aus drei Gründen: Ein Präzisionsschlag der USA auf die Atomanlagen Kim Jong-Uns würde wenig Sinn machen, weil diese sich sehr tief im Untergrund befinden und wir die Positionierung der nuklearen Infrastruktur nicht vollständig kennen.

Zum Zweiten wäre das ein Krieg in einer der wirtschaftlich dynamischsten Regionen der Welt, in der sich die Wirtschaftsräume Chinas, Japans, Südkoreas und strategisch auch der USA überlappen. Keiner der Anrainerstaaten hat hier Interesse an einem Krieg. Zum Dritten muss man damit rechnen, dass im Falle eines US-Militärschlages Nordkorea entsprechend zurückschlägt. Wir wissen, dass Nordkorea mehr als 80 Prozent seines Militärarsenals an der Grenze zu Südkorea stationiert hat. Dessen Hauptstadt Seoul ist nur 47 Kilometer von dieser Grenze entfernt und wäre Kims erstes Angriffsziel, mit mehr als zwölf Millionen Menschen. Eine Eskalation des Konflikts hätte verheerende Folgen.

Ist ein Erstschlag Nordkoreas denkbar?

BALLBACH: Ein Krieg, der von Nordkorea ausgeht, würde das Ende von Nordkorea bedeuten. Es würde von der militärischen Übermacht USA und ihrer Bündnispartner Japan und Südkorea getroffen. Dass man da schlichtweg keine Chance hat, weiß man in Nordkorea. Deswegen setzt man ja so entschlossen auf die Strategie der Abschreckung mittels Atomwaffen. Grundsätzlich ist es aber so, dass Nordkoreas Raketen Japan auf alle Fälle erreichen könnten. Ob sie auch das Festland der USA bedrohen, ist aufgrund der bisherigen Raketentests schwer zu beurteilen, weil man davon nur eine ungefähre Flugweite ableiten kann. Aber Alaska scheint auf alle Fälle im Einzugsgebiet von Kims Raketen zu liegen.

Nordkoreas Staatschef Kim Jong-Un wird im Westen gerne als irrer Diktator in Pjöngjang dargestellt. Wie irrational ist der 33-Jährige wirklich?

BALLBACH: Die Gefahr, die durch Nordkorea ausgeht, ist absolut real – auch dadurch, dass Pjöngjang internationale Normen wie die Nichtweiterverbreitung von Atommaterial untergräbt. Irrational ist Nordkorea aber sicher nicht. Im Gegenteil. Das gesamte nordkoreanische Staatshandeln ist ausgerichtet auf ein Ziel: Regime-Stabilität. Nordkorea schafft es seit mittlerweile drei Generationen, dieses Ziel innerhalb der eigenen Familie sicher zu stellen. Das ist sicherlich nicht die Rationalität, die wir uns wünschen. In der Nuklearstrategie folgt Nordkorea genau der gleichen Strategie wie andere Staaten auch. Man schafft Atomwaffen aus drei Gründen an: Power, Prestige and Politics – die drei P-Regel. Nordkorea strebt nach Sicherheit und nützt das Prestige, das damit einhergeht, zum elitären Klub der weltweit neun Atommächte zu gehören.

Wenn alle vernünftig bleiben und die militärische Option ausfällt: Wie soll der Westen darauf reagieren, dass Kim sein Atomprogramm ausbaut?

BALLBACH: Wir haben nicht sehr viele Optionen. Sanktionen alleine werden sicher nicht zum Ziel führen. Wir haben es mit einem grundlegenden Problem zu tun: Auf der einen Seite stehen die Nordkoreaner, die in den Atomwaffen aufgrund ihrer Abschreckungskraft die ultimative Lösung sehen, ihr Machtsystem zu erhalten. Wir haben auf der anderen Seite die USA, die die völlig entgegengesetzte Position vertreten: nämlich dass Nordkorea zur Gänze denuklearisiert werden müsse, damit die USA überhaupt in weitreichendere Verhandlungen eintreten. Doch Pjöngjang stellt sich auf den Standpunkt, dass das Atomprogramm nicht mehr verhandelbar ist. Diesen Graben zu überwinden wird sehr schwer. Die militärische Option ist real nicht umsetzbar. Der erste Schritt muss deshalb in der Wiederaufnahme von Verhandlungen bestehen. Der zweite Schritt kann nur in einem Einfrieren der nuklearen Infrastruktur Nordkoreas auf dem gegenwärtigen Status liegen – denn die volle Denuklearisierung ist schlichtweg unrealistisch.

Was muss man Kim denn anbieten, damit er bereit wäre, sein Atomprogramm aufzugeben?

BALLBACH: Der politische Preis, den die internationale Gemeinschaft dafür zahlen müsste, ist in der Tat sehr hoch. Man müsste den Nordkoreanern einen Weg aus der Ecke aufzeigen. Washington und Pjöngjang müssten sich am Verhandlungstisch gegenseitig den Nicht-Angriff garantieren. Das ist aber ein sehr weitreichendes Ziel, das ich derzeit unter der Trump-Administration für nicht umsetzbar halte. Deshalb wäre ein Einfrieren und eine Verpflichtung Nordkoreas, das nukleare Material nicht an andere weiterzugeben, ein realistischerer Zwischenschritt. Dafür könnte man humanitäre Hilfslieferungen oder Lockerung von Einreiseverboten und Sanktionen anbieten. Die Situation ist aber derzeit sehr festgefahren, und ich vermute, dass es erst dann Chancen auf wirklich bedeutsame Verhandlungen geben wird, wenn Nordkorea in der Entwicklung seiner Atomwaffentechnologie noch weiter vorankommt.

Die zahlreichen Sanktionen gegen das Regime haben bisher wenig bewirkt. Kim hat die Lage offenbar so sehr im Griff, dass von innen keine Gefahren drohen.

BALLBACH: Revolte zeichnet sich keine ab. Die größten Gefahren drohen meiner Meinung nach dennoch nicht von außen – Druck von außen hat Pjöngjang immer schon mit Gegendruck beantwortet; und Drohungen spielt es zum eigenen innenpolitischen Vorteil aus. Da gibt es kein Einlenken. Die weitaus größere Gefahr für das nordkoreanische Regime würde sich aus einem Mehr an Zusammenarbeit ergeben. Südkorea neuer Präsident möchte ja wieder auf eine Art Einbindungspolitik setzen und enger mit Nordkorea zusammenarbeiten. Was passiert, wenn Nordkoreaner in einer südkoreanischen Fabrik arbeiten dürfen und dort sehen, dass all die Lügen, die sie über Jahrzehnte erzählt bekommen haben, nämlich dass Südkorea weitaus ärmer sei als der Norden und technologisch rückständig, gar nicht stimmen?

Dazu kommt das Durchbrechen der staatlichen Informationspolitik durch die Verbreitung von Mobiltelefonen in Nordkorea, auch wenn sie nicht ans internationale Telefonnetz angebunden sind. Wenn es Ereignisse im Grenzgebiet zu China gibt, verbreiten sich diese innerhalb weniger Minuten in alle Landesteile. Ich denke, dass dies für das nordkoreanische Regime längerfristig weitaus gefährlicher ist als jegliche militärische Drohung.

Donald Trump hat den Ruf großer Sprunghaftigkeit. Kann man ausschließen, dass der US-Präsident, um etwa von der Russland-Affäre abzulenken, nicht doch noch einen Angriffsversuch auf Kims Atomanlagen unternimmt?

BALLBACH: Man kann es nie ausschließen. Trump ist auf alle Fälle ein großer Unsicherheitsfaktor. Aber wenn er auch nur halbwegs fähige Berater für Ost-Asien-Fragen hat, dann werden sie ihm sicher alle davon abraten. Die Folgen wären nicht nur wirtschaftlich und politisch, sondern vor allem, was die menschlichen Opfer angeht, furchtbar und unvorstellbar.