"Ich werde nicht wählen", sagt Ephelm Atanga Nyaboke. Die 25-jährige Lehrerin in Nairobi will lieber ihre Koffer packen und zu ihren Eltern in den Südwesten Kenias fahren. "Falls irgendwas passiert, werde ich zumindest bei meiner Familie sicherer sein." Nyaboke ist nicht die einzige, die so denkt.
Die Angst vor Gewalt sitzt tief. Denn wenn die Kenianer am 8. August unter anderem einen neuen Präsidenten und ein Parlament wählen, erinnern sich wohl die meisten an 2007. Damals endeten die Wahlen in blutigen Auseinandersetzungen, in denen mehr als 1.000 Menschen starben. Eine Wiederholung davon will keiner. Doch auf Frieden vertrauen die wenigsten, auch wenn die Wahlen 2013 weitestgehend ruhig verlaufen waren. Denn bei den Wahlen am Dienstag steht viel auf dem Spiel.
"Das Rennen ist eng, sehr eng", sagt Abdullahi Abdille von der Denkfabrik International Crisis Group. Umfragen zeigen Präsident Uhuru Kenyatta und seinen Herausforderer Raila Odinga fast gleichauf - und beide haben bei diesen Wahlen viel zu verlieren. Kenyatta, der Sohn des ersten Staatschefs von Kenia nach der Unabhängigkeit von Großbritannien, Jomo Kenyatta, will nicht der erste Präsident werden, der nach nur einer Amtszeit abgewählt wird. Und für Odinga, den Sohn des ersten Vizepräsidenten Kenias, Jaramogi Oginga Odinga, ist es der letzte Versuch, das höchste Amt des Land zu bekleiden. Ein fünftes Mal wird der 72-Jährige wohl nicht kandidieren. "Diese wird eine der umstrittensten Wahlen in Kenias Geschichte sein", sagt Abdille.
Das ostafrikanische Land hat eine turbulente Vergangenheit, wenn es um Politik geht. In Kenia wählen viele Menschen primär entlang ethnischer Linien. Vertreter der größten Volksgruppe der Kikuyu - etwa die Kenyatta-Familie - sowie der Kalenjin haben seit der Unabhängigkeit 1963 die Politik dominiert. Wie Michaela Wrong in ihrem bekannten Buch "It's Our Turn To Eat" ("Jetzt sind wir dran, zu essen") erklärt, hat eine politische Führung nach der anderen ihre eigene Volksgruppe bevorzugt. Andere Gruppen, etwa die Luo, der auch Odingas angehört, fühlen sich ausgeschlossen.
Nicht zum ersten Mal entluden sich bei den Wahlen 2007 die Spannungen. Amtsinhaber Mwai Kibaki wurde mit einem knappen Vorsprung als Sieger erklärt. Sein Herausforderer Raila Odinga erkannte dies nicht an und warf der Regierung Wahlbetrug vor. Im Zuge der blutigen Auseinandersetzungen, die folgten, wurden mehr als 1.000 Menschen getötet und 150.000 in die Flucht getrieben.
Viel wurde seitdem getan, um eine Wiederholung derartiger Gewalt zu vermeiden. Unter anderem gab sich Kenia 2010 eine neue Verfassung. Diese hat unter anderem 47 Bezirke geschaffen, jede mit einem eigenen Gouverneur und eigener Vertretung. Damit sollte die Macht des Präsidenten dezentralisiert werden, um einen blutigen Kampf um das Amt zu vermeiden. "Nun nehmen die Wähler die lokalen Probleme mehr wahr und sind unabhängiger", schreibt die Denkfabrik Institute for Security Studies (ISS).
Probleme ausgelagert
Allerdings wurden mit der Dezentralisierung auch die Probleme ausgelagert. "Die Kämpfe, die zuletzt auf nationaler Ebene ausgetragen wurden, finden jetzt auf lokaler Ebene statt", sagt Abdille. Die Gouverneursämter und Sitze in den Bezirksvertretungen sind hart umkämpft. Es geht um viel politische Macht und Geld: Laut Verfassung gehen nun mindestens 15 Prozent der Staatseinnahmen an die Bezirksregierungen. Abdille zufolge könnte es während und nach der Wahlen vor allem in den Gegenden, in denen ethnische Spannungen herrschen, zu Gewalt kommen.
Der Wahlkampf-Krimi im Vorfeld des 8. August hat die wenigsten Kenianer beruhigt: Die Opposition warf dem kenianischen Militär vor, sich zugunsten des Amtsinhabers in die Wahlen einzumischen. 87 Prozent der Kenianer haben einer Studie zufolge Fake-News im Zusammenhang mit dem Wahlkampf gesehen. Der Oppositionskandidat will die Stimmen unabhängig von der Wahlkommission auszählen lassen. Und zu guter Letzt wurde nur wenige Tage vor der Abstimmung der Leiter des elektronischen Wahlsystems bei der Wahlbehörde tot aufgefunden.
"Es hängt alles davon ab, ob die Wahlen als frei und fair angesehen werden", sagt Abdille. Und ob der Verlierer und seine Unterstützer die Niederlage akzeptieren. "Ich denke, Gewalt so verheerend wie nach den Wahlen 2007 wird es wohl nicht geben", prophezeit der Kenia-Experte. "Das bedeutet aber nicht, dass es friedlich bleibt."
Für diejenigen, die sich vom politischen System im Land marginalisiert fühlen, bedeuten die Wahlen: Jetzt oder nie. "Wir wurden zu lange von einem Stamm regiert", sagt Judith Nyina, eine 32 Jahre alte Obstverkäuferin in Nairobi von der Volksgruppe der Kamba. "Wir wollen eine Veränderung."
Gioia Forster