Mit dem Senat stimmte in der Nacht auf Samstag auch die zweite Parlamentskammer für den Umbau des Justizwesens, wie die Nachrichtenagentur PAP meldete. Die Volksvertreter ignorierten sowohl die Sanktionsdrohungen der EU-Kommission als auch warnende Stimmen im In- und Ausland, die um die Unabhängigkeit der polnischen Justiz fürchten. Nun fehlt noch die Unterschrift von Präsident Andrzej Duda.
Die Reformen sollen es der Regierung ermöglichen, Richter des Obersten Gerichtes in den Ruhestand zu schicken und ihre Posten neu zu besetzen. Die Richterposten in dem über die Unabhängigkeit der Justiz wachenden Landesrichterrat (KRS) sollen ebenfalls neu besetzt werden. Kritiker befürchten zudem, dass ein befangenes Oberstes Gericht künftig sogar Wahlen für ungültig erklären könnte.
Zustimmung des Präsidenten erforderlich
Die Zustimmung von Sejm (Unterhaus) und Senat galt im Vorfeld als sicher, weil die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski mit absoluter Mehrheit regiert. Sobald Präsident Duda unterschrieben hat, kann die Reform in Kraft treten. Dafür hat er 21 Tage Zeit. Das Staatsoberhaupt kann den Entwurf aber auch vom Verfassungsgericht prüfen lassen, das nach einer PiS-Reform 2015 allerdings als befangen gilt. Dritte Option Dudas wäre ein Veto und die Bitte an den Sejm - das polnische Unterhaus - um Überarbeitung. Duda stammt aus den Reihen der PiS.
Zehntausende Demonstranten in Warschau und anderen Städten Polens forderten in den vergangenen Tagen von Duda ein solches Veto. Der Senatsbeschluss wurde von weiteren Protesten begleitet. "Putsch" und "Schande" riefen Demonstranten in Warschau. Der Abgeordnete der rechtsliberalen Bürgerplattform (PO) und Ex-Verteidigungsminister Bogdan Klich warnte: "Das ist ein klassischer Staatsstreich mit parlamentarischen Methoden" und fügte hinzu: "Polen verliert Europa. Europa verliert Polen". Auch in anderen europäischen Städten waren Kundgebungen geplant.
Der aus Polen stammende EU-Ratspräsident und frühere PO-Ministerpräsident Donald Tusk appellierte in einem Interview des Senders TVN24, man müsse jede Möglichkeit nutzen, um Polen wieder auf den richtigen Weg zu bringen.
Gegenwind aus Brüssel
Die angestrebte Justizreform ist längst keine innerpolnische Angelegenheit mehr. Die höchsten Richter Tschechiens und der Slowakei warnten vor einer Zerstörung des polnischen Rechtsstaats, der Deutsche Richterbund vor dem Streben der PiS-Regierung nach "einer politisch gelenkten Justiz, in der willfährige Richter und Staatsanwälte an ihren Fäden tanzen". Selbst die US-Regierung als traditioneller Verbündeter riet Warschau dringend davon ab, "Gesetze zu erlassen, die die gerichtliche Unabhängigkeit und Rechtsstaatlichkeit in Polen zu untergraben scheinen".
Am folgenschwersten könnte der Gegenwind aus Brüssel ausfallen. Die EU-Kommission drohte bei Inkrafttreten der Reform ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages an. Dieser sieht als schwerste Sanktion eine Aussetzung der Stimmrechte des Mitgliedstaates vor. Am kommenden Mittwoch will die EU-Kommission erneut über Polen beraten. Für den Entzug der Stimmrechte in EU-Räten müssen die anderen EU-Staaten aber alle geschlossen gegen Polen vorgehen. Der rechtskonservative ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hat deutlich gemacht, dass er sich nicht gegen die polnische Regierung wenden will. Am Samstag bezeichnete Orban mögliche Sanktionen als Teil einer "EU-Inquisition", den Vizepräsidenten der EU-Kommission Frans Timmermans als "Großinquisitor".
"Mechanismus der Demokratie"
Die PiS von Ministerpräsidentin Beata Szydlo weist unterdessen alle Vorwürfe zurück. Ihr Argument: Die Änderungen seien im Wahlkampf versprochen worden, schließlich sei Polens Justiz seit dem Ende des Kommunismus 1989 nicht reformiert worden. Die Richter seien großteils korrupt und würden keiner demokratischen Kontrolle unterliegen.
"Das Gerichtswesen bedarf grundlegender Änderungen", betonte bei der Senatsdebatte Justizminister Zbigniew Ziobro, der nach PiS-Plänen künftig auch Gerichtsvorsitzende bestimmen darf. Die Reform entspreche demokratischen Standards, wehrte er Vorwürfe einer politisch gelenkten Justiz ab. Die Regierung erfülle lediglich ihr Versprechen, deswegen hätten die Polen sie gewählt. "Das ist der Mechanismus der Demokratie", sagte Ziobro. Der Rückhalt für die Reform sei größer als die Proteste, hieß es aus Pis-Reihen.
Zwar erklärte sich Staatspräsident Duda bereit zu einem Treffen mit der Ersten Vorsitzenden des Obersten Gerichts, Malgorzata Gersdorf, das am Montag stattfinden soll. Die Hoffnung der Reform-Gegner auf Dudas Veto-Recht könnte allerdings vergebens sein. Er gilt als Unterstützer der Nationalkonservativen. Bisher winkte er selbst die umstrittensten Gesetze durch. Die Proteste seien dem Präsidenten nicht entgangen, sagte sein Sprecher Krzysztof Lapinski im Radio.