Die Unabhängigkeit der Justiz liegt für viele Polen wortwörtlich in der Hand ihres Präsidenten. In Windeseile trieb die nationalkonservative Warschauer Regierung eine umstrittene Reform zum Obersten Gerichtshof durch den Sejm. Am Freitag debattierte der Senat über den Entwurf. Seine Zustimmung galt als sicher, weil auch dort die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) die Mehrheit hat.
Dann muss nur noch Präsident Andrzej Duda unterschreiben. Um das Staatsoberhaupt davon abzuhalten, hatten am Donnerstag Zehntausende vor dem Warschauer Präsidentenpalast demonstriert.
Vor dem Warschauer Präsidentenpalast versammelten sich nach Angaben der Stadt rund 50.000 Demonstranten. Die Polizei sprach nur von 14.000 Teilnehmern. Sie forderten Präsident Andrzej Duda auf, sein Veto gegen die am Donnerstag vom Parlament beschlossene Neuordnung des Obersten Gerichts einzulegen.
Durch die Reform der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) sehen die Demonstranten die Unabhängigkeit der polnischen Justiz bedroht. "Freies europäisches Polen" und "Wir wollen ein Veto", rief die Menschenmenge in Warschau.
Zu der Kundgebung unter dem Motto "Freie Gerichte" hatten Oppositionsparteien und Bürgerinitiativen aufgerufen. "Wir wollen nicht aus der EU gedrängt werden", riefen Oppositionsabgeordnete. Sie warnen, die PiS würde sich mit den Änderungen im Justizwesen Richter und Gerichte unterstellen. Proteste gab es auch in anderen Städten wie Krakau und Posen.
Die EU-Kommission hatte Polen am Mittwoch aufgefordert, die Gesetzesarbeiten sofort zu stoppen, und gedroht, ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages einzuleiten. Dieser sieht bei "schwerwiegender und anhaltender Verletzung" der im Vertrag verankerten Werte als schwerste Sanktion eine Aussetzung der Stimmrechte des Mitgliedstaates vor.
Polens Regierende wiesen die Kritik als "ungerechtfertigt" zurück und trieben die Reform weiter voran. Es gilt als wahrscheinlich, dass das Gesetz auch vom Senat gebilligt wird, in dem die PiS die Mehrheit hat. Anschließend müsste Duda unterschreiben.
Tschechiens Richter mischen sich ein
Tschechiens höchste Richter haben sich in bisher nicht gekannter Form in die Debatte um die umstrittene Justizreform im Nachbarland Polen eingemischt. Unter dem Titel "Wir können nicht schweigen" veröffentlichten sie am Freitag eine gemeinsame Erklärung.
Nach der Lähmung des Verfassungsgerichts in Warschau und der Unterordnung der öffentlich-rechtlichen Medien komme es nun zu einem beispiellosen Angriff auf die Unabhängigkeit des polnischen Gerichtswesens, hieß es darin. Die Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats seien in Polen in Gefahr.
Unterzeichner der Erklärung sind die Vorsitzenden des Verfassungsgerichts, des Obersten Gerichts und des höchsten Verwaltungsgerichts in Tschechien sowie die Ombudsfrau für Bürgerrechte. Tschechien und Polen sind eigentlich enge Partner, die gemeinsam mit Ungarn und der Slowakei seit 1991 in der mitteleuropäischen Visegrad-Gruppe zusammenarbeiten.
Auch der Deutsche Richterbund warnte vor einem Ende des Rechtsstaates in Polen. Geplant sei offenkundig "eine politisch gelenkte Justiz, in der willfährige Richter und Staatsanwälte an ihren Fäden tanzen", sagte der Richterbund-Vorsitzende Jens Gnisa dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Die mit absoluter Mehrheit regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hatte eine Neuordnung des Landesrichterrats durchs Parlament gebracht. Im Senat liegt zudem eine Neuordnung des Obersten Gerichts.
Die Bürgerbewegung "Pulse of Europe" will unterdessen mit Mahnwachen vor polnischen Konsulaten in mehreren Städten Europas gegen die Justizreform protestieren. Damit solle "auf die massive Einschränkung der Gewaltenteilung und der bürgerlichen Freiheitsrechte durch die polnische Regierung" reagiert werden, sagte eine Sprecherin. Demonstrationen waren am Freitagabend im westdeutschen Köln sowie am Sonntag in Luxemburg, Paris, Frankfurt am Main, Bremen und München geplant.
Die in Frankfurt gegründete Bewegung will den europäischen Zusammenhalt stärken. Seit Längerem versammeln sich Anhänger der Bewegung an Sonntagen in europäischen Städten, um für ein geeintes Europa ohne Grenzen zu demonstrieren.