In Italien liegen angesichts der dramatisch angestiegenen Flüchtlingszahlen die Nerven blank. 10.000 Flüchtlinge sind in den vergangenen vier Tagen bei Dutzenden Einsätzen im zentralen Mittelmeer gerettet worden. Nun droht die italienische Regierung der EU damit, Schiffen mit geretteten Flüchtlingen die Einfahrt in italienischen Häfen zu verwehren.
Nach der jüngsten Flüchtlingswelle könne die EU nicht mehr wegschauen, verlautete am Mittwoch aus diplomatischen Kreisen in Rom nach einem Treffen zwischen dem italienischen Botschafter bei der EU, Maurizio Massari, und dem EU-Binnenkommissar Dimitris Avramopoulos. Es sei unannehmbar, dass die Schiffe, die Flüchtlinge im zentralen Mittelmeerraum retten, immer nur italienische Häfen ansteuern würden.
Verteilung muss endlich funktionieren
Italien werde zwar nach wie vor Flüchtlinge im Mittelmeer retten, die Last der Aufnahme könne aber nicht auf dem Land allein lasten, hieß es. Eine mögliche Hafensperre würde nicht nur Schiffe der humanitären Organisationen betreffen, die im Mittelmeer im Einsatz sind, sondern auch jene der EU-Grenzschutzbehörde Frontex und der EU-Mission EunavFormed.
Italien ist mit dem massiven Flüchtlingsstrom zunehmend überfordert. Innenminister Marco Minniti, der am Dienstag zu einem institutionellen Treffen nach Washington unterwegs war, musste nach Italien zurückkehren, um den Umgang mit den Tausenden neu ankommenden Migranten zu koordinieren. "Diese Massenankünfte haben eine Dimension erreicht, die für Italien unerträglich geworden ist", sagte Ex-Premier Matteo Renzi.
Auch Staatschef Sergio Mattarella warf der EU vor, zu wenig zur Unterstützung Italiens zu unternehmen. "Italien ist an der vordersten Front engagiert, um angesichts des epochalen Flüchtlingsphänomens tausende Menschenleben zu retten. Es fehlen jedoch einschneidende, gemeinsame Initiativen auf europäischer Ebene, um mit diesem Notstand umzugehen", so Mattarella.
Heillos überfüllt
Seit Sonntag wurden 10.000 Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet, 2000 allein am Dienstag. Unter den Geretteten waren auch viele Kinder, darunter zwei Neugeborene und mehrere Kleinkinder. Auch drei Leichen befinden sich an Bord der Schiffe der italienischen Küstenwache und der NGOS, die in Richtung Sizilien, Kalabrien und Sardinien unterwegs sind. Zu den Leichen an Bord zählt auch jene eines Neugeborenen, das auf See zur Welt kam, die Geburt jedoch nicht überlebte, berichteten italienische Medien.
Rund 80.000 Migranten sind seit Jahresbeginn in Italien eingetroffen, das sind 14,5 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2016, wie das Innenministerium mitteilte. Alle Flüchtlingseinrichtungen in Italien sind heillos überfüllt. Das Innenministerium, das im Gesamtjahr 2017 mit über 200.000 Migranten rechnet, macht Druck auf die Gemeinden, um Lösungen für die Flüchtlinge zu finden. Derzeit versorgt Italien über 180.000 Migranten. Innenminister Minniti drängt auf eine faire Lastenverteilung der Flüchtlingsversorgung innerhalb Italiens. Einige Regionen würden mehr als andere ihre Pflichten erfüllen, meinte der Minister.
Kritik an Plänen zur Schließung der Mittelmeerroute kam am Mittwoch vom Sprecher des italienischen Flüchtlingsrats (CIR), Christopher Hein. "Wo sollen die Menschen denn hin?", kritisierte der Sprecher der italienischen NGO im Ö1-Morgenjournal. Es gebe bereits jetzt eine Unterstützung der libyschen Küstenwache mit Geld, Ausrüstung und Schnellbooten, so Hein. "Die Menschen werden zurückgebracht nach Libyen, wo sie in Folterzentren landen. Das ist die gegenwärtige Lage und sobald sich daran nichts ändert, ist es absolut ausgeschlossen, an solche Rückführungen nach Libyen oder andere Länder Nordafrikas zu denken."