"Die deutsche Einheit und die europäische Einigung sind zwei Seiten ein und derselben Medaille." Unter dieses Credo stellte Helmut Kohl sein politisches Wirken. Als Kanzler der Einheit und Wegbereiter von Europäischer Union und Euro sicherte sich der Ehrenbürger Europas den Eintrag in die Geschichtsbücher.

Kohls Sohn Walter
Kohls Sohn Walter © APA/AFP/DANIEL ROLAND

Oft eklatant unterschätzt

Doch der Glanz wurde getrübt durch die CDU-Spendenaffäre, in der sich Kohl ein Jahr nach seiner Abwahl über die Gesetze stellte und einen Bruch mit seiner Partei provozierte. In den folgenden Jahren saß er aber auch diese Schwierigkeit - wie so viele zuvor - aus und wurde wieder geachtet und hofiert. Am Freitag starb Helmut Kohl im Alter von 87 Jahren.

16 Jahre, länger als sein Vorbild Konrad Adenauer und länger als jeder andere seiner Vorgänger und Nachfolger, war Kohl Bundeskanzler. Zielstrebig hatte er auf das höchste Regierungsamt hingearbeitet. Nach einem gescheiterten Anlauf gegen den SPD-Kanzler Helmut Schmidt im Jahr 1976 hatte er sechs Jahre später sein Ziel erreicht. Mit Hilfe der FDP stürzte er Schmidt über das bisher einzige Misstrauensvotum in der deutschen Nachkriegsgeschichte und wurde 1983 in einer vorgezogenen Bundestagswahl klar bestätigt.

Kohl 1994 mit seiner späteren Nachfolgerin Angela Merkel
Kohl 1994 mit seiner späteren Nachfolgerin Angela Merkel © APA/dpa/Tim Brakemeier

Kaum ein anderer deutscher Spitzenpolitiker wurde so oft und eklatant unterschätzt wie Kohl. In den ersten Jahren seiner Kanzlerschaft sah sich der Pfälzer Spott und Häme wegen seiner Volksverbundenheit und der zunehmenden Körperfülle ausgesetzt. "Birne" war wohl der bekannteste Schmähruf seiner Gegner. Doch Kohl focht das nicht an. Er wurde immer mächtiger und auch massiger. Allein schon durch seine gewaltige Erscheinung flößte er bei Anhängern Respekt ein und wirkte auf Gegner einschüchternd. Er kanzelte gnadenlos diejenigen ab, die innerhalb der CDU an seinem Mythos kratzten.

System Kohl als Erfolgsfaktor

Bei seinem Aufstieg wie während seiner Amtszeit baute der Machtmensch auf das sprichwörtliche System Kohl. Durch langjährige und regelmäßige Kontakte mit den CDU-Orts- und Kreisvorsitzenden schuf er sich eine derart starke Machtbasis, dass er nicht auf das klassische Partei-Establishment angewiesen war. Das System Kohl funktionierte auch auf internationaler Ebene. Die von ihm gesuchten und gepflegten engen persönlichen Beziehungen zum französischen Präsidenten Francois Mitterrand, zu Michail Gorbatschow und Boris Jelzin sowie zu den US-Präsidenten George Bush und Bill Clinton waren wesentliche Voraussetzungen dafür, Ängste vor einem wiedervereinigten Deutschland zerstreuen zu können.

Helmut Kohl vor dem Brandenburger Tor
Helmut Kohl vor dem Brandenburger Tor © AP

Ein weiteres Merkmal war das schon legendäre Aussitzen von Problemen und Krisen. Das führte allerdings auch dazu, dass angekündigte und notwendige Reformen nur schleppend umgesetzt wurden. Die Unzufriedenheit mit dem Kanzler, der für eine "geistig-moralische Wende" angetreten war, gipfelte 1989 in Putschplänen seiner innerparteilichen Widersacher um Heiner Geißler, Lothar Späth und Rita Süssmuth. Durch das System Kohl bekam der Kanzler Wind davon und konnte sie abwehren.

Wenig später sprach niemand mehr davon, denn die Mauer und der Eiserne Vorhang fielen. Kohl ergriff die einzigartige Chance, und es gelang ihm auch durch seine persönlichen Vertrauensverhältnisse zu Bush, Mitterrand und Gorbatschow, Widerstand gegen die deutsche Einheit zu zerstreuen. Den Grundstein dafür legte er im Dezember 1989. Kohl wählte einen symbolträchtigen Ort. Vor der Ruine der Dresdner Frauenkirche rief er aus, dass von deutschem Boden nie mehr Krieg und immer Frieden ausgehen müsse.

Symbol der Aussöhnung

Immer wieder setzte Kohl auf symbolträchtige Gesten - nicht immer mit Erfolg. Im September 1984 trafen sich Kohl und Mitterrand auf dem Schlachtfeld von Verdun, um der Toten der beiden Weltkriege zu gedenken. Die Bilder des minutenlangen Händedrucks wurden zum Symbol der deutsch-französischen Aussöhnung. Ein halbes Jahr später löste der gemeinsame Besuch Kohls und des US-Präsidenten Ronald Reagan auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg heftige Kontroversen aus: Auf dem Friedhof sind auch Angehörige der Waffen-SS beerdigt.

Francois Mitterrand und Helmut Kohl: Auf dem Schlachtfeld von Verdun
Francois Mitterrand und Helmut Kohl: Auf dem Schlachtfeld von Verdun © APA/dpa/Wolfgang Eilmes

Nicht nur in der Regierung, auch in der Partei setzte Kohl Rekorde: 70 Jahre Parteimitglied, 25 Jahre Parteivorsitzender. Doch der Mythos Kohl verblasste durch die CDU-Spendenaffäre. Als Kohl sich weigerte, die Namen der Spender zu nennen, die ihm in den 1990er Jahren insgesamt nicht deklarierte 1,5 bis zwei Millionen Mark zusteckten, gab es einen Bruch zwischen ihm und der Partei. Im Jänner 2000 sah er sich gezwungen, den Ehrenvorsitz der CDU abzugeben. Jahrelang wurde er gemieden, und nur langsam suchten wieder Parteigrößen und auch Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel wieder seinen Rat und Nähe. In dieser Zeit musste Kohl auch einen privaten Schicksalsschlag einstecken. Seine Frau Hannelore, die an einer unheilbaren Lichtallergie litt, nahm sich 2001 das Leben.

CDU-Eintritt als Schüler

Zum 75. Geburtstag 2005, der mit einem Festakt im Deutschen Historischen Museum in Berlin mit prominenten politischen Weggefährten aus dem In- und Ausland gefeiert wurde, war er wieder voll da. Uneingeschränkt wurde die großen Verdienste Kohls als Kanzler der Einheit und treibende Kraft der europäischen Einigung gewürdigt. Dass sich selbst dann die ostdeutschen Länder entgegen seiner Aussage von 1990 noch nicht in blühende Landschaften verwandelt hatten, schrieb er einer globalen Fehleinschätzung über den wahren Zustand der DDR zu.

Geboren wurde Helmut Kohl am 3. April 1930 als drittes Kind eines Finanzbeamten. Das Ende des Zweiten Weltkrieges, in dessen letzten Monaten sein Bruder Walter fiel, erlebte Kohl in einem Wehrertüchtigungslager bei Berchtesgaden. Schon als Schüler trat Kohl 1947 in die CDU ein. Nach dem Abitur 1950 studierte er Geschichte, Jura und Staatswissenschaften. Ein Jahr nach seiner Promotion wechselte Kohl 1959 mit dem Einzug in den rheinland-pfälzischen Landtag voll in die Politik. In den Folgejahren arbeitet er sich zum Fraktions- und Landesvorsitzenden hoch.

1969 löste er Ministerpräsident Peter Altmeier ab. 1973 hatte Kohl dann den Sprung an die Spitze der Bundespartei geschafft. Bis zum Amt des Bundeskanzlers dauerte es dann noch einmal neun Jahre. 1998 musste die Regierung Kohl der ersten rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder weichen. Im Mai 2008 heiratete Kohl seine langjährige Lebensgefährtin Maike Richter.