Die konservative Partei von Premierministerin Theresa May hat bei der britischen Unterhauswahl am Donnerstag ihre bisherige knappe absolute Mehrheit verloren. Rücktrittsrufen bot sie zunächst die Stirn: May suchte zu Mittag die Queen auf und bekam von ihr den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt. In einer Stellungsnahme erklärte die schwer angeschlagene Konservative, ihre Regierung werde "für Sicherheit sorgen". May will die Verhandlungen über den EU-Austritt wie von Brüssel vorgeschlagen am 19. Juni beginnen.

Wie britische Medien berichten, will sie nun eine Minderheitsregierung mit Duldung der nordirischen Unionisten (DUP) bilden. Experten schätzten dies als nicht sonderlich stabile Regierungsvariante ein. Die DUP will die Verhandlungen mit den Konservativen nicht überstürzen. "Ich denke, es wird sicher Kontakt über das Wochenende geben, aber ich denke, es ist zu früh, um darüber zu sprechen, was wir tun werden", sagte Parteichefin Arlene Foster.

In einer ersten Reaktion der EU-Kommission hieß es, dass nun der Termin für die Brexit-Gespräche in Frage gestellt sei. Es sei nicht sicher, ob die Gespräche wie geplant am 19. Juni beginnen können, sagte der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger dem Deutschlandfunk. Erwartet wurde, dass der zweijährige Verhandlungszeitraum nicht eingehalten werden kann und dass die Briten von ihrer harten Brexit-Linie abrücken könnten.

May hatte die vorgezogene Wahl mit dem Ziel ausgerufen, die Regierungsmehrheit ihrer Partei im Unterhaus zu vergrößern und sich mehr Rückhalt für die Verhandlungen über den EU-Austritt zu schaffen. Ihr Herausforderer Jeremy Corbyn, dessen Labour-Partei stark zulegen konnte, forderte die Regierungschefin noch in der Nacht zum Rücktritt auf.

Zum Kommentar von Peter Nonnenmacher aus London: Und schon wieder purzelt alles

"Das ist eine Katastrophe für Theresa May. Ihre Führung würde infrage gestellt werden und sie könnte zum Rücktritt gedrängt werden", sagte der Politikprofessor Iain Begg von Hochschule London School of Economics. Sein Kollege Tony Travers erklärte: "Das ist genau das Gegenteil dessen, was sie mit der Wahl erreichen wollte." Auch die Politologin Paula Surridge von der Bristol University sieht May geschwächt. Ein Rücktritt sei nicht auszuschließen.

Ein Wahldebakel erlitt auch die rechtspopulistische UKIP, die das Brexit-Referendum betrieben hatte. Parteichef Paul Nuttall trat zurück. "Eine neue Ära muss beginnen mit einem neuen Vorsitzenden", sagte Nuttall am Freitag. Bei der Parlamentswahl vom Donnerstag hatte die United Kingdom Independence Party (UKIP) ihren einzigen Sitz im Parlament verloren. Ihr Stimmenanteil verringerte sich um über zehn Prozentpunkte.

Die UKIP hatte unter ihrem früheren Parteichef Nigel Farage mit dem Brexit ihr wichtigstes politisches Ziel erreicht. Die Rechtspopulisten sind aber zerstritten über den künftigen Kurs ihrer Partei.

Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok sagte, er befürchte negative Auswirkungen auf die Brexit-Verhandlungen. "Dieses Ergebnis bedeutet, dass überhaupt keiner Kompromisse machen kann", sagte Brok in der ZDF-Sendung "Maybrit Illner". "Das wird für die Brexit-Verhandlungen sehr große Erschwernisse mitbringen." Dagegen sieht der ÖVP-Europaabgeordnete Othmar Karas die Verhandlungsposition der britischen Regierung "natürlich" geschwächt. Das Ergebnis sei eine "Strafe für Mays Brexit-Lügenpolitik", teilte Karas in einer Aussendung mit.

Als May im April die Neuwahl ausgerufen hatte, galt noch ein überragender Sieg mit einem Zugewinn von 100 Sitzen für die Tories als wahrscheinlich. Fehler im Wahlkampf und die Sicherheitsdebatte nach den Terroranschlägen in London und Manchester hatten die Premierministerin aber in Bedrängnis gebracht.

Boris Johnson wiedergewählt, aber angeschlagen

Der britische Außenminister Boris Johnson ist in seinem Wahlkreis Uxbridge westlich von London wiedergewählt worden. Angesichts des sich abzeichnenden Verlusts der absoluten Mehrheit war ihm zum Jubeln aber nicht zumute. "Eines ist uns allen klar. Wir müssen unseren Wählern zuhören und ihre Sorgen anhören", sagte der konservative Politiker.

Mit 23.716 Stimmen gewann Johnson seinen Wahlkreis weit weniger deutlich als bei der vorangegangenen Parlamentswahl im Jahr 2015. Der populäre frühere Londoner Bürgermeister war Wortführer der EU-Austrittsbefürworter beim Brexit-Referendum im Vorjahr.

Pfund auf Talfahrt

Der Kurs des Euro hat sich am Freitag im Schatten der Wahlen in Großbritannien nur wenig verändert. Dagegen hat das britische Pfund die Talfahrt nach dem Wahl-Desaster der regierenden Konservativen am Morgen weiter fortgesetzt, wenn auch mit einem deutlich geringeren Tempo als in der vergangenen Nacht. Zuletzt erreichte der Kurs bei 1,2686 US-Dollar den tiefsten Stand seit Mitte April. Seit der Veröffentlichung der ersten Hochrechnungen hat das Pfund mittlerweile mehr als zwei Prozent an Wert eingebüßt.