Obsolet. So hatte US-Präsident Donald Trump die NATO unlängst genannt, hielt sie dann doch nicht für überholt, trieb mit seinem kraftmeierischen Auftritt beim Gipfel in Brüssel aber einen Keil zwischen sich und die Partner. Die über Jahrzehnte gewachsene, wahrlich nicht kritikfreie, aber solidarische Militärallianz erlebt so etwas wie einen Angriff aus dem Inneren, aber sie wird weiter kämpfen. Denn ihre Einsätze, samt dem 2001 bisher einmalig ausgerufenen Bündnisfall für das attackierte Amerika, sind real.
Anders ist es beim G-7-Gipfel. Dieses zweite große Gesprächsforum des Westens erscheint nach der inhaltsarmen Sitzung auf Sizilien zunächst einmal genau so: obsolet.
Zwei Gipfel, zwei Premieren mit dem neuen Mann in Washington und der westlichen Wertegemeinschaft droht die Spaltung. Nachdem aus der G-8 die G-7 ohne Russland wurde, droht jetzt G-0. Denn wenn es "Sechs gegen Einen" steht, wie Diplomaten am Rande des Gipfels über das Ringen des dürren, sechsseitigen Abschlussdokuments sagten, stellt sich die Sinnfrage. Vor allem, wenn die "Einen" die Vereinigten Staaten von Amerika sind.
Ohne Rücksicht auf Verluste
Trump orientiert sich beim zweitägigen G-7-Treffen ohne Rücksicht auf Verluste an amerikanischen Interessen. Der Kampf gegen den Terror ist auch hier sein Hauptthema. Dazu gibt es die einzige separate Gipfel-Erklärung. Das Anliegen der italienischen Gastgeber, auch zur Flüchtlingskrise klar und ausführlich Stellung zu beziehen, torpediert der US-Präsident dagegen. Trump erklärt sich nur mit zwei Absätzen unter der stark verklärenden Überschrift "Menschliche Mobilität" in der Abschlusserklärung einverstanden.
Eine solche Haltung ist nicht nur für Staaten wie Italien und Griechenland bitter, die mit dem Elend und Todesdramen vieler Menschen konfrontiert sind, die über das Mittelmeer flüchten. Sondern in erster Linie natürlich für die Flüchtlinge selbst. Viele Militärs und Politiker haben auch Trumps Rede vor der NATO im Ohr, als er nicht nur den Einsatz der Allianz gegen Terroristen, sondern auch gegen "Zuwanderung" forderte. Mit Waffen gegen Flüchtlinge?
Beim Klimaschutz kann die G-7 nur den Dissens feststellen, beim Handel wird eine Formulierung als Erfolg gefeiert, die über die des letzten Gipfels in Japan in keiner Weise hinausgeht - weil alle noch Schlimmeres erwartet hatten.
Es geht auch anders
Wenn ein internationales Gremium so wenig Neues, Weitergehendes, Klärendes bei einem solchen Treffen zustande bringt, ist der Aufwand zu groß. Die Enttäuschungen sind es auch. Zu gigantisch sind dann die nötigen Summen und Sicherheitsmaßnahmen für die Staats- und Regierungschefs der USA, von Kanada, Japan, Italien, Großbritannien, Frankreich und Deutschland, die immer irgendwo an einem malerischen Ort abgeriegelt tagen - damit es wenigstens schöne Fotos gibt.
Um einmal miteinander zu reden - das ist seit Jahren das Hauptargument der Veranstalter für solche Gipfel - kann man es auch so machen wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, als Trumps Vorgänger Barack Obama im vorigen Jahr zwei Mal nach Deutschland kam. Sie hat einfach ihre Kollegen in Großbritannien, Italien und Frankreich - und auch Spanien - angerufen und gefragt, ob sie dazu kommen wollen. Sie flogen ohne Delegationen ein, sprachen vertraulich und flogen wieder ab. Das geht auch.
Ob das allerdings künftig auch so selbstverständlich mit London sein wird, darf bezweifelt werden. Denn Großbritannien tritt aus der Europäischen Union aus. Vertrauen geht verloren. Die USA erscheinen nicht mehr als Anker. Der Westen bröckelt.
Der Gewinner heißt Putin
Für Wladimir Putin, der jede Unruhe in NATO und EU auskostet, kann es nicht besser laufen. Er, der 2014 nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim aus dem exklusiven G-8-Club verbannt wurde, ist jetzt der einzige echte Gewinner des Gipfels. Gerne philosophiert er über das "postwestliche Zeitalter". Die Gipfel der NATO und G-7 dürfte er als Bestätigung seiner These verstehen.
Wieviel ist die westliche Wertegemeinschaft also noch wert? Die nächste Bewährungsprobe folgt in sechs Wochen. Dann findet der G-20-Gipfel unter deutscher Ratspräsidentschaft in Hamburg statt. Da kommen sie dann alle zusammen: Trump, Putin, die EU, China, Brasilien und die anderen. Merkel könnte es darauf anlegen, die schönen Fotos vor Hafenkulisse oder Elbphilharmonie mit echten Ergebnissen zu unterfüttern. Dafür oder dagegen. Ja oder Nein. Kein Hü und Hott.
Die Kanzlerin nennt die anhaltende Unklarheit in Sachen Klimaschutz am Samstagmittag in Taormina "sehr unzufriedenstellend". Kurze Zeit später verkündet Trump auf Twitter, dass er nächste Woche bekannt geben will, ob die USA aus dem mühsam verhandelten Abkommen von Paris aussteigen. Zumindest hörte er sich auf Sizilien vorher die Argumente seiner Partner an. Allein das wird von Teilnehmern schon als Erfolg verkauft. Das sagt viel über die Erwartungshaltung an den G-7-Gipfel aus.
Stillstand statt Fortschritt
Dass man hinter bisherige Errungenschaften zurückfalle, sei mit Trumps Präsidentschaft doch klar gewesen, heißt es in Diplomatenkreisen. Wie frustrierend muss es sein, wenn man nach vielen Jahren endlich ein Abkommen hat, das alle Nationen unterschreiben. Und dann will der wichtigste Vertragspartner und zweitgrößte Klimasünder nicht mehr mitmachen und man fängt mit den Erklärungen von vorne an. Wenn Trump aussteigt, wird Merkel zu einzelnen US-Staaten Drähte glühen lassen, wie zu Kalifornien zum Beispiel, das in dem Abkommen bleiben möchte.
Dass die G-7 sich dem Kampf gegen den Protektionismus verschrieben, wertet Merkel am Ende als "Fortschritt". In Wahrheit ist es aber Stillstand. Nur, weil Trump mit "America first" eher protektionistisch denkt, stand vor dem Gipfel eine Formulierung infrage, die seit Jahrzehnten als Konsens gilt.
Dieser G-7-Gipfel habe aber gezeigt, dass diese Runde gerade dann wichtig sei, wenn es mit der Verständigung schwierig werde, sagen Teilnehmer. Merkel erklärt, der Leitgedanke sei, zum Wohl der Menschen in der globalisierten Welt zu handeln. "Ich kann berichten, dass wir an einigen Stellen hier sehr wohl diesen Leitgedanken umsetzen konnten." An einigen Stellen wie bei der Terrorbekämpfung, was unter dem bitteren frischen Eindruck des Anschlags in Manchester am Montag wohl auch das Mindeste ist.
Merkel & Macron
Italienische Medien sprechen dennoch von einem Gipfel "zwischen Impotenz und Irrelevanz". Die "Corriere della Sera" schreibt über Trumps Gipfelpremiere: "Das einzige Zeichen eines guten Willens war die titanenhafte Anstrengung, nicht beim Konzert im griechischen Theater einzuschlafen.".
Aber nichts ist ohne Hoffnung. Merkel hat möglicherweise schon eine neuen Allianz geschmiedet: mit dem neuen französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron. Mit ihm traf sie sich zu einem vertraulichen Gespräch am späten Freitagabend. Er kämpfe mit aller Kraft für das Pariser Abkommen, heißt es. Wenn er sein Land wieder voranbringt und den Populismus zurückdrängt, wird auch die deutsch- französische Achse eine neue Stärkung erleben. Das würde zugleich die EU stabilisieren und zusammenhalten. Also doch keine Nullnummer.