Viereinhalb Monate vor der Bundestagswahl in Deutschland hat die CDU in Nordrhein-Westfalen einen Erdrutschsieg eingefahren und löst die SPD als stärkste Kraft ab. Die Sozialdemokraten erzielten am Sonntag ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen (NRW) in der Nachkriegsgeschichte. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) trat umgehend von allen Parteiämtern zurück.
"Wir haben eine krachende Niederlage hinnehmen müssen", gestand SPD-Chef und Kanzlerkandidat Martin Schulz ein. Die CDU sprach von Rückenwind für Kanzlerin Angela Merkel. Ob CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet mit der wiedererstarkten FDP eine neue Koalition bilden kann, hing davon ab, ob die Linken den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen. Letzte Hochrechnungen sehen sie knapp darunter. Daneben kam eine Große Koalition von CDU und SPD unter Laschets Führung infrage. Die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) schaffte zum 13. Mal in Folge den Einzug in ein Landesparlament.
Die SPD kommt laut ARD-Hochrechnung von 19.26 Uhr auf 31,1 Prozent nach 39,1 Prozent 2012. Das ist das schlechteste Ergebnis seit 1947. Die CDU unter Spitzenkandidat Laschet legte auf 33,7 Prozent zu nach 26,3 Prozent vor fünf Jahren. Die mit der SPD regierenden Grünen kamen auf 6,2 Prozent nach 11,3 Prozent 2012. Die FDP verbesserte sich auf 12,3 Prozent nach 8,6 Prozent bei der vorherigen Wahl. Die AfD kam aus dem Stand auf 7,4 Prozent. Die Linke schaffte es demnach wie 2012 nicht in den Landtag. Sie wurde bei ARD wie ZDF bei 4,9 Prozent nach 2,5 Prozent gesehen.
Damit kann die CDU im neuen Düsseldorfer Landtag mit 67 Sitze und die SPD mit 62 Mandaten rechnen. Die Grünen stellen zwölf Abgeordnete, die FDP 25, die AfD 15. Damit hätte eine schwarz-gelbe Koalition die Mehrheit. Mit rund 66 Prozent war die Wahlbeteiligung höher als 2012 mit 59,6 Prozent.
Die Wahlbeteiligung lag laut ZDF bei 66 Prozent, deutlich höher als 2012 (59,6 Prozent). Die Zahlen liegt im Trend, denn auch bei den anderen Landtagswahlen 2016 und 2017 war in Deutschland eine höhere Beteiligung verzeichnet worden.
Mit der NRW-Wahl steht es im deutschen Superwahljahr 0:3 gegen Schulz, der im Jänner ins Amt kam. Unter seiner Führung hatte die SPD schon im Saarland und in Schleswig-Holstein Verluste eingefahren. "Ich bin heute Abend richtig getroffen, wir haben jetzt drei Landtagswahlen am Hacken, die wir nicht geschafft haben." Es blieben aber noch gut vier Monate bis zur Bundestagswahl am 24. September. Er habe sich vorgenommen, konkreter zu sagen, wofür er stehe. SPD-Generalsekretärin Katarina Barley sagte, die SPD müsse prüfen, ob sie das Thema Gerechtigkeit bei den Wählern richtig rübergebracht habe.
Bei der CDU herrschte indes Begeisterung über die siegreiche Aufholjagd gegen die lange Zeit in den Umfragen führende SPD. Laschet ließ offen, mit wem er koalieren will: "Ich habe immer gesagt, wir wollen mit allen Demokraten reden." In den Gesprächen wolle er dann feststellen, "wo es die größten Gemeinsamkeiten gibt." CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagte: "Die CDU hat die Herzkammer der SPD erobert. Das ist ein toller Tag für die CDU."
CSU-Chef Horst Seehofer ermahnte die Union nach dem Wahlsieg, auf dem Teppich zu bleiben. Das CDU-Ergebnis sei eine "großartige Leistung", sagte Seehofer. Stimmungen könnten sich aber "fast torpedoartig ändern", warnte der bayerische Ministerpräsident. "Deshalb ist das noch längst keine Vorentscheidung für die Bundestagswahl."
Kraft hatte seit Juli 2010 mit den Grünen regiert, zuerst in einer Minderheitsregierung, dann mit einer eigenen Mehrheit nach der vorgezogenen Wahl 2012. Kurz nach den ersten Prognosen trat sie als SPD-Landesvorsitzende und Vize-Vorsitzende der Bundes-SPD zurück. SPD-Bundesvize Ralf Stegner nannte das Wahlergebnis eine herbe Niederlage: "Der Boxer SPD hat einen Leberhaken bekommen, aber er steht noch, und der Bundestagswahlkampf wird heißen: Angela Merkel oder Martin Schulz." Auch in den Wahlumfragen für den Bund war die SPD zuletzt wieder abgesackt mit einem Zehn-Punkte-Abstand zur Union.
Die AfD-Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl Alice Weidel sprach von einem sensationellen Ergebnis für ihre Partei, der es gelungen sei, aus dem Stand in den Landtag einzuziehen. Parteichefin Frauke Petry sagte: "Wir haben hier viel Zustimmung für einen realpolitischen Kurs." Ihr Mann Markus Pretzell war Spitzenkandidat der Rechtspopulisten in Nordrhein-Westfalen.
Grünen-Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann kündigte den Verzicht auf jedes Amt an. Die Grünen hätten nicht den Auftrag zu regieren und stünden für eine schwarz-gelb-grüne Jamaika-Koalition nicht zur Verfügung. Auch andere Dreierbündnisse waren im Vorfeld ausgeschlossen worden. FDP-Chef Christian Lindner erreichte für die Liberalen ein Rekordergebnis in NRW und sieht die FDP im Aufwind vor der Bundestagswahl: "Wir haben uns unseren Fehlern gestellt, wir haben uns erneuert."
Der ARD-Wahlanalyse zufolge spielten für die Wähler des bevölkerungsreichsten Bundeslandes - mehr als 13 Millionen Stimmberechtigten - Deutschlands vor allem landespolitische Themen eine Rolle. 29 Prozent nannten die Schulpolitik als wichtigstes Thema der Wahl, 22 Prozent nannten die politische Weltlage, 15 Prozent die innere Sicherheit in NRW.
Die SPD verlor demnach Stimmen an alle anderen Parteien, alleine 340.000 an die CDU. Die CDU hat von den Nichtwählern zudem die meisten Stimmen zurückgewonnen. Krafts Regierung hatten die Wähler im Vorfeld ein durchwachsenes Zeugnis ausgestellt. So hatten zwei Drittel angegeben, sie seien mit der Kriminalitätsbekämpfung nicht zufrieden. Am Ende hatte auch Krafts Popularität gelitten.
Nordrhein-Westfalen mit seinen industriellen Zentren ist eine traditionelle SPD-Hochburg. In den vergangenen 50 Jahren hatte die CDU nur fünf Jahre lang (2005-2010) den Ministerpräsidenten gestellt.