Liest man den Bericht der Frankfurter Allgemeinen über den Besuch von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit Großbritanniens premierministerin Theresa May, so wird einem klar, wieso beide Seiten nachd em Treffen bass erstaunt waren und ihrer Enttäuschung Luft ließen.

Die sechs großen Missverständnisse zwischen London und Brüssel:

Das Spiel mit der Macht: May macht Druck über noch notwendige Zustimmungserklärungen, zum Beispiel Umschichtungen im EU-Budget, um die Grenz- und Küstenwache Frontex auszubauen. Gleichzeitig will sie möglichst rasch die Modalitäten der Austrittsverhandlungen festlegen. Die EU fordert die notwendige Loyalität für die rasche Umsetzung von EU-Verpflichtungen ein, andernfalls werde man bei den Wünschen Großbritanniens auf die Bremse steigen.

Die Rechte der Menschen: May will, dass EU-Bürger in Großbritannien künftig einfach genauso wie andere Drittstaatler behandelt werden. Juncker will möglichst viele Sonderrechte für EU-Bürger erhalten. "Ich glaube, Sie unterschätzen das", soll Juncker laut Bericht der Frankfurter Allgemeinen beim Essen mit May gesagt haben und zwei dicke Aktenordner aus der Tasche gezogen haben: das Beitrittsabkommen mit Kroatien und den Handelsvertrag mit Kanada, beide mehrere tausend Seiten stark.

Das offene Visier: May würde gerne jeden Monat ein Thema abarbeiten, mit einem Verhandlungsblock von je vier Tagen. Und alles soll bis zum Abschluss geheim bleiben, um ihr Diskussionen insbesondere auch mit der Presse zu ersparen. Die Kommission will jedes Dokument sofort veröffentlichen, da es  mit allen mitgliedsstaaten und mit dem Europäischen Parlament abzugleichen sei.

Die klare Reihenfolge: Die EU will zuerst die Scheidungsmodalitäten klären und erst danach über die künftigen Beziehungen reden. May will als erstes über ein Freihandelsabkommen sprechen, und erst am Ende über die Kosten der Trennung.

Das Ende der Fahnenstange: Das Ziel der britischen Premierministerin: Ein wohlhabendes Großbritannien, ohne lästige Pflichten. "Lassen Sie uns den Brexit zu einem Erfolg machen."  Das Modell: "Protokoll 36", jene Vereinbarung als Ergänzung des Lissabon-Vertrages, die den Briten ein Ausscheren aus einzelnen Verpflichtungen ermöglichte, das man letztlich nur in wenigen Fragen nützte. Die Sicht des Kommissionspräsidenten: So gehe es sicher nicht. Großbritannien werde nach dem Brexit ein Drittstaat für die EU sein, nicht einmal verbunden durch eine Zollunion, wie etwa die Türkei. "Der Brexit kann kein Erfolg werden".

Das leidige Geld: Die EU rechnet mit Kosten von 60 bis 65 Milliarden Euro für London, andere Berechnungen gehen von mehr als 100 Milliarden aus. Schließlich sei London mit jedem Haushaltsbeschluss Verpflichtungen eingegangen. May argumentiert damit, dass in den Verträgen nichts davon stehe, dass die Zahlungen nach einem Austritt auch noch fällig werden. Andere Länder werden sich allerdings weigern, die Kosten zu übernehmen. und Großbritannien wird deren Zustimmung für ein Freihandelsabkommen brauchen.