"Es gibt einige in Brüssel, die die Brexit-Gespräche nicht zum Erfolg bringen wollen", sagte Großbritanniens Premierministerin Theresa May am Mittwoch in London. EU-Chefunterhändler Michel Barnier und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker versuchten zuvor, die Wogen zu glätten: Barnier sagte, bei den im Juni beginnenden Verhandlungen über den EU-Austritt gehe es nicht darum, Großbritannien zu bestrafen. Juncker sagte, er respektiere May sehr, die er als "knallharte Frau" kennengelernt habe.
Davon zeigte sich May nach einer Audienz bei Königin Elizabeth unbeeindruckt. In den vergangenen Tagen sei in der kontinentaleuropäischen Presse die Verhandlungsposition ihrer Regierung für die anstehenden Brexit-Gespräche fehlinterpretiert worden. "Die Position der EU-Kommission hat sich verhärtet und Drohungen gegen Großbritannien wurden von europäischen Politikern und Vertretern ausgesprochen." All dies sei zeitlich absichtlich so gesetzt worden, um das Ergebnis der Wahlen zum Unterhaus zu beeinflussen, sagte May.
Nervosität vor Wahlen
Millionen Briten stimmen seit Donnerstagfrüh über neue Kommunalparlamente in Schottland, Wales und Teilen Englands ab. Vom Ergebnis lässt sich Experten zufolge möglicherweise ein Trend für die vorgezogene Parlamentswahl am 8. Juni ableiten.
Umfragen sagen den Konservativen von Premierministerin Theresa May bei der Parlamentswahl einen haushohen Sieg voraus. Die oppositionelle Labour-Partei und die europafeindliche UKIP-Partei müssen mit klaren Niederlagen rechnen.
May will sich mit der vorgezogenen Parlamentswahl eine komfortable Mehrheit und mehr Rückendeckung für die Brexit-Verhandlungen verschaffen. Die letzte Parlamentswahl war 2015. Im vergangenen Jahr stimmten die Briten für den Austritt aus der Europäischen Union.
Rechnung über 100 Milliarden Euro
Anlass des zwischen EU-Partnern ungewöhnlich scharfen Schlagabtauschs war unter anderem ein Bericht der "Financial Times", wonach die EU Großbritannien beim Brexit mehr als 100 Milliarden Euro in Rechnung stellen könnte - eine Zahl, die allerdings von der EU nicht bestätigt wurde. Zudem hatten Informationen aus der EU-Kommission in London Empörung ausgelöst, wonach May sich Illusionen über positive Folgen des Brexits mache und "in einer anderen Galaxie" lebe.
Nach den jüngsten Prognosen liegen die regierenden Konservativen weit vor der Labour-Partei bei der Parlamentswahl im Juni. Mit ihr als Regierungschefin könne der Brexit zu wirtschaftlichem Wachstum führen, so May. Bei einem Wahlsieg der oppositionellen Labour-Partei mit Jeremy Corbyn bekäme Großbritannien eine "Koalition des Chaos".
Verstimmung nach Essen mit Juncker
Zuletzt war es zu Verstimmungen zwischen Brüssel und London gekommen, nachdem die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" (FAS) über Details eines Abendessens zwischen May und Juncker berichtet hatte. Dem Bericht zufolge war Juncker nach dem Essen in London weitaus skeptischer über das Zustandekommen eines Brexit-Deals.
London reagierte empört. "Wir werden nicht 100 Milliarden zahlen", sagte Brexit-Minister David Davis im Sender ITV. Großbritannien werde lediglich seine "internationalen Verpflichtungen" erfüllen. Eine Summe werde erst während der Verhandlungen vereinbart. Auch Barnier wollte in Brüssel keinen Betrag nennen. Großbritannien werde aber nicht dazu gezwungen, einen Blankoscheck zu unterschreiben. Es gehe auch nicht um eine Bestrafung für den EU-Austritt des Königreichs.
Gleichwohl beharrte der Franzose darauf, dass der EU-Austritt für Großbritannien nicht umsonst sei. Als Beispiele für die britischen Verpflichtungen nannte er finanzielle Vereinbarungen im Rahmen des EU-Budgets von 2014 bis 2020, die EU-Hilfe über drei Milliarden Euro für Flüchtlinge in der Türkei, die wirtschaftliche Unterstützung der Ukraine oder Mittel bei der Europäischen Investitionsbank.
"Lernen, einen Fuß vor den anderen zu setzen"
Der aus den Savoyer Alpen stammende Barnier sagte, er teile mit May die Leidenschaft für Bergwanderungen. Mit Verweis auf die Brexit-Gespräche ergänzte er: "Wenn Sie das Wandern in den Bergen mögen, müssen Sie lernen, einen Fuß vor den anderen zu setzen." Zudem müsse man sich die Kraft gut einteilen und das Ziel des Gipfels nicht aus den Augen verlieren. May hatte in einem früheren Interview gesagt, dass sie den Entschluss für Neuwahlen bei einer Wanderung in Wales gefällt habe.