Die elegante Seine-Brücke Passerelle Simone-de-Beauvoir im Osten von Paris. Das funktionale Klinikum Klagenfurt. Das Kunsthaus Weiz. Soziale Wohnbauten in Paris, Salzburg, Wien. Die imposante Brücke zur Klosterinsel Mont-Saint-Michel in der Normandie: Dietmar Feichtingers Bauten sind eine ideale Verbindung von Funktionalität und Ästhetik.
Zuletzt hat der in Graz aufgewachsene und ausgebildete Architekt ein höchst ungewöhnliches Projekt geplant: eine drei Meter hohe schusssichere Glaswand zum Schutz des Eiffelturms vor möglichen Attentätern. Denn das Wahrzeichen von Paris wird immer wieder als potenzielles Ziel von Terroristen genannt.
Sie leben seit fast 30 Jahren in Paris - wie erleben Sie derzeit die Stimmung dort?
DIETMAR FEICHTINGER: Fast normal. Es ist natürlich eine spannende Zeit, was die Wahlen betrifft, aber die riesige Überraschung, Marine Le Pen als Präsidentin, kann und mag sich niemand vorstellen. Was mich positiv stimmt derzeit, dass die politischen Diskussionen sehr präsent geführt werden. Die Bevölkerung zeigt reges Interesse. Schon vor dem ersten Wahlgang war das so, was sich ja auch in einer recht hohen Wahlbeteiligung widergespiegelt hat.
Sind die Franzosen anfällig für eine Revolte mit dem Wahlzettel?
DIETMAR FEICHTINGER: Die Revolte wäre ja keine Revolte mehr - das ist es ja auch, was viele so ängstlich macht. Der Front National mit Marine Le Pen versucht sich ja zu normalisieren, was ihm auch teilweise gelingt. Die Partei versucht ernstzunehmender zu agieren. Letztlich ist so ja auch Marine Le Pens Schachzug zu werten, einen Gaullisten, Nicolas Dupont-Aignan, im Falle ihres Wahlsiegs zum Premier machen zu wollen. Das wäre unter ihrem Vater nie denkbar gewesen.
Ist Frankreich noch "La France insoumise"? Das unbeugsame, das widerständische Frankreich?
DIETMAR FEICHTINGER: Interessant ist schon, dass die Gesellschaft mittlerweile so gespalten ist: Was heißt gespalten - geviertelt: Das hat man im ersten Wahlgang mit diesen 20-Prozent-Anteilen gesehen. Macron hatte zwar ein wenig mehr, aber sowohl Le Pen, Melenchon, als auch Fillon lagen um die 20 Prozent. Was man jetzt allerdings merkt, wenn man mit Franzosen über die Wahl am Sonntag spricht: Dass einige desperat sind, weil es für sie keine Alternative gibt.
Die Arbeitslosigkeit in Frankreich liegt bei zehn Prozent, bei den Jugendlichen sogar bei mehr als 20 Prozent. Andererseits können die Franzosen mit 62 in Pension gehen, es gibt die 35-Stunden-Woche und strengsten Kündigungsschutz. Geht da die Wirtschaft nicht zwangsläufig in die Knie?
DIETMAR FEICHTINGER: Ja, das beschreibt schon den Komfort im Land. Aber das muss man erst einmal leisten können als Gesellschaft! Die Frage ist, wo man sich politisch einordnen will: Die Standards hinunternivellieren oder doch ausgleichen? Aber freilich ist die französische Gesellschaft in einigen Punkten auch sehr unbeweglich, sehr unflexibel, was es für einen Unternehmer auch nicht leichter macht, Menschen fix anzustellen, weil man sich da als Arbeitgeber schon in eine große Abhängigkeit betrifft.
Wie viele Mitarbeiter haben Sie in Ihrem Architekturbüro?
DIETMAR FEICHTINGER: So zwischen 30 und 40. Ein Thema taucht auch bei uns immer wieder auf, vor allem bei jungen Leuten: Viele wollen nicht 100 Prozent arbeiten, sondern nur 80 Prozent. Manchmal, weil sie beruflich auch noch was anderes machen wollen. Manchmal aber auch nur, weil sie Arbeit und Freizeit besser ausbalancieren wollen.
Sind die jungen Franzosen besser in der Work-Life-Balance?
DIETMAR FEICHTINGER: Ja, vielleicht. Aber das ist es mitunter auch, was die französischen Unternehmen nicht konkurrenzfähig macht. Die 35-Stunden-Woche führt ja zu 22 zusätzlichen Urlaubstagen, denn die Menschen arbeiten ja meistens trotzdem mehr als 40 Stunden, und können sich dann alle drei Wochen, so über den Daumen, Zusatztage nehmen. Und das führt natürlich zu einem größeren Urlaubspotenzial, was natürlich für die Organisation von Firmen ein Problem darstellen kann. In der Frage der Zeit für Familie und andere Interessen bietet dieses Modell aber auch große Möglichkeiten.
Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron verspricht Prämien von 15.000 Euro, wenn Unternehmer Jugendliche aus Problemvierteln einstellen: Wäre das für Sie denkbar?
DIETMAR FEICHTINGER: Das ist diese positive Diskriminierung, das ist meiner Meinung nach eine heikle Angelegenheit. Mit Quoten kommt man nicht an die Wurzel des Problems. Freilich ist diese Art von Maßnahme eine Krücke, mit der man Türen öffnen kann, aber a la longue sehe ich keinen Erfolg darin. Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass wir wegen 15.000 Euro jemanden einstellen, der vielleicht weniger qualifiziert ist als jemand anderer. Ist er gleich qualifiziert, spielt es keine Rolle, aus welchem Viertel jemand kommt.
Ihr jüngstes, 20 Millionen Euro teures Projekt ist eine Glaswand, die Sie um den Eiffelturm bauen?
DIETMAR FEICHTINGER: Wir machen eine Glaswand, die ist drei Meter hoch. Damit fassen wir tatsächlich diesen Platz rund um den Eiffelturm ein, aus Sicherheitsgründen.
Ist das nicht eine besondere Auszeichnung, dass ein Österreicher beauftragt wird, einen Schutz für das Symbol der Franzosen, den Eiffelturm, zu bauen?
DIETMAR FEICHTINGER: Ich habe bisher die Franzosen immer als sehr offene Menschen erlebt. Bei meiner beruflichen Entwicklung in dem Land wurde nie die Frage gestellt: Ist der jetzt ein Franzose?
Die Franzosen haben das Image, Chauvinisten zu sein. Haben Sie die Erfahrung nie gemacht?
DIETMAR FEICHTINGER: Vielleicht tun sie sich jetzt einfach leichter damit, Qualität gelten zu lassen, egal woher sie kommt. Wenn man einen besseren Vorschlag macht als jemand anderer, dann kommt man zum Zug, weil sie einfach nach dem Besseren suchen. Vielleicht haben sie auch genug Selbstvertrauen, um das Andere zuzulassen, aber das ist jetzt nur meine Theorie. Ich hatte nie direkt mit Chauvinismus zu tun. Was im Hintergrund läuft, weiß ich freilich nicht.
In wenigen Tagen ist die Ära Hollande Geschichte: Er hat das Image des unpopulären, erfolglosen Präsidenten nie ablegen können.
DIETMAR FEICHTINGER: Waren diese Jahre wirklich so erfolglos? Frankreich ist immer noch eine wichtige Industrienation, ist in allen wichtigen Gremien vertreten, ist einer der wichtigsten Staaten der Welt, politisch wie wirtschaftlich. Mir fällt auf, dass man einerseits wenig Geduld hatte mit Hollande, dass auch nicht immer gerecht geurteilt wurde und dass es Krisen gab, durch die Hollande das Land auch nicht so schlecht geführt hat. Denn in den 26 Jahren, in denen ich nun in Paris lebe, hat es nie zuvor so viele Unruhen, allein durch den Terror, in diesem Land gegeben.
Ihre Wahlempfehlung?
DIETMAR FEICHTINGER: Macron, da gibt es kein Zögern. Marine Le Pen hat in der Vergangenheit auf eine Teilung der Gesellschaft abgezielt, auf Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen, die sie als minderwertig bezeichnet hat. In den letzten Wochen hat sie sich zahmer gegeben, aber im Grunde hat sie nur danach getrachtet, ihr finsteres Spiel zu verbergen.
Manuela Swoboda