Ihr letzter Besuch in Russland dürfte Angela Merkel noch in Erinnerung sein. Damals im Mai 2015 überraschte Präsident Wladimir Putin die deutsche Kanzlerin bei einer Kranzniederlegung zum Weltkriegsgedenken mit einer Mini-Militärparade.
Zwar war Merkel extra erst nach der großen Parade zum Sieg der Sowjetunion über Hitler-Deutschland gekommen. Doch das hinderte Putin nicht, an der Kremlmauer noch einmal Soldaten in Uniform aufmarschieren zu lassen - eine kleine Machtdemonstration in der heißen Phase der Ukraine-Krise.
Zwei Jahre später reist Merkel an diesem Dienstag zum ersten Mal wieder nach Russland, diesmal in den beliebten Bade- und Ferienort Sotschi am Schwarzen Meer. Überraschungen wie damals dürften zwar kaum zu erwarten sein, wenn Putin die Kanzlerin unter russischen Palmen empfängt. Doch die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Westen und Russland sind seit 2015 nicht weniger geworden.
Ukraine-Konflikt und Syrien-Krise: Experten in Moskau sind überzeugt, dass die internationalen Streitthemen die Gespräche dominieren werden. Vor allem im Ukraine-Konflikt gehe es der deutschen Kanzlerin in Sotschi darum, das Potenzial für eine weitere Eskalation der Lage zu senken, nachdem vergangene Woche erstmals ein Mitarbeiter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Donbass umgekommen war. Die Frage nach den deutsch-russischen Beziehungen dürfte dabei in den Hintergrund geraten.
Die Voraussetzungen für fruchtbare Beratungen sind eigentlich nicht schlecht. Die Deutsche und der Russe, die beide die Sprache des anderen beherrschen, kennen sich seit Jahren wie kaum ein anderes Politikerpaar auf der internationalen Bühne.
Dennoch lässt Regierungssprecher Steffen Seibert durchblicken, dass es knirscht zwischen Kanzlerin und Kremlchef. "Natürlich gibt es zwei Themen, die das Verhältnis belasten", räumt Seibert frank und frei in Berlin ein. Er spricht von Russlands völkerrechtswidriger Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 und der Destabilisierung der Ostukraine durch die Unterstützung für prorussische Separatisten. Damit ist in den Beziehungen zwischen Merkel und Putin etwas zu Bruch gegangen, das bis heute schwer zu kitten ist.
Auch aus russischer Sicht ist das Vertrauensverhältnis belastet. Deutschland sei das Zugpferd der antirussischen Rhetorik in Europa, kommentiert die Zeitung "Iswestija". Ein Ende der Sanktionen gegen Russland sei nicht abzusehen.
Trotz aller Schwierigkeiten ist die Kanzlerin für den Kremlchef ein wichtiger Gesprächspartner, gilt sie doch für russische Experten als Favoritin bei der Bundestagswahl im September. Merkels außenpolitischer Einfluss ist seit 2015 weiter gewachsen.
Daher hoffen viele, dass die 62-Jährige es zum G-20-Gipfel im Juli in Hamburg schafft, dort Worte zu finden, wo Sprachlosigkeit eingezogen ist. Merkel als G-20-Gastgeberin will ausloten, wie in dem Gremium der Industrie- und Schwellenländer schwierige Fragen zu Wirtschaft und Klimaschutz aber auch zum Syrien-Konflikt angegangen werden können.
Auch US-Präsident Donald Trump dürfte sie beschäftigen. Nach dem US-Raketenangriff auf eine syrische Luftwaffenbasis und der Verlegung eines amerikanischen Flottenverbandes im Korea-Konflikt hat der Kreml eine erste Vorstellung davon, wie Trump außenpolitisch tickt. Und die Reaktionen in Moskau sind verhalten. Trump gilt als unberechenbar, eine klare Strategie zeichnet sich nicht ab.
Merkel hat Putin durch ihren Besuch im Weißen Haus vom März etwas voraus. "Für Putin ist es wichtig, sich darüber aus erster Hand zu informieren", meint die Zeitung "Nesawissimaja Gaseta". Viele Staats- und Regierungschefs hat Trump bereits getroffen, nur mit Putin hat er sich noch nicht verabredet. Gut möglich, dass die Kanzlerin eine Botschaft von Trump im Gepäck hat, wie das Blatt spekuliert.
Die Kanzlerin als Vermittlerin zwischen Trump und Putin? Jedenfalls der Draht zwischen Berlin und Moskau ist nie wirklich abgebrochen, betont Regierungssprecher Seibert: "Gleichzeitig ist es und war es auch in den vergangenen Jahren unsere Absicht, Russland so weit das irgendwie möglich ist, in konstruktive Lösungen einzubinden." Putin war zuletzt im Oktober 2016 zu Ukraine-Gesprächen in Berlin, regelmäßig telefonieren die beiden.
In Regierungskreisen in Berlin heißt es, Merkel sei zuversichtlich, dass es in Sotschi Fortschritte geben könne - aber das sei sie immer. Egal wie aussichtslos eine Situation zunächst auch erscheine.