Herbst 2017. Ein Szenario sieht so aus: In Deutschland hat gerade die AfD die Bundestagswahl gewonnen. Die ersten, die aus dem Ausland gratulieren, sind die Französin Marine Le Pen und der Niederländer Geert Wilders. Die rechte Nationalistin Le Pen ist seit ihrem klaren Sieg bei der französischen Präsidentschaftswahl im Mai Staatschefin. Der als EU-Gegner und Islamhasser bekannte Wilders führt seit der niederländischen Parlamentswahl Mitte März die Regierung in Den Haag.
"Ein neues Europa"
"Gestern ein neues Amerika (...) und morgen ein neues Europa" - mit diesen Worten hatte Wilders im Jänner bei einem Treffen Gleichgesinnter in Koblenz in die Zukunft geblickt. Könnte der Niederländer richtig liegen? Wird das Superwahljahr 2017 mit einem spektakulären Rechtsruck enden? Allein aktuellen Umfragen zufolge lautet die Antwort: Nein. Fest steht aber, dass diejenigen, die seit Jahrzehnten das politische Geschehen in Europa bestimmen, vor den anstehenden Wahlen zittern müssen. Die etablierten Parteien haben zuletzt in fast allen großen EU-Staaten an Zustimmung verloren.
Zulauf für rechte Parteien
Nach der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise sorgten zuletzt islamistische Terroranschläge und der unkontrollierte Zustrom von Flüchtlingen für neue Verunsicherung und einen Zulauf für rechte Parteien. Vor allem Arbeitslose und Menschen mit geringem Gehalt fragen sich, warum die Milliardensummen für die Migrationspolitik nicht für sie ausgegeben werden.
Das Schicksal von Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien ist weit weg in strukturschwachen Regionen in Ostdeutschland oder in der französischen Bretagne. Ganz stark ist hingegen bei manchen das Gefühl, als Deutscher, Niederländer oder Franzose von der eigenen Regierung benachteiligt oder nicht gehört zu werden. "Merkel muss weg", lautete zuletzt ein Schlachtruf von Unzufriedenen in Deutschland.
Geert Wilders, Marine Le Pen und AfD-Politiker wie Frauke Petry "kümmern" sich um diese Zielgruppe. Im Wahlkampf versprechen sie ihren Anhängern, die Gelder für Flüchtlingspolitik zu kürzen und an die EU abgegebene Kompetenzen wieder in die Hauptstädte zurückzuholen. Dabei werden wie selbstverständlich das grenzenlose Reisen innerhalb der EU oder die Gemeinschaftswährung Euro infrage gestellt.
Niederländer wählen Mitte März
Dass Deutschland, Frankreich und die Niederlande im internationalen Vergleich auch deshalb so gut dastehen, weil mit der EU ein Gegengewicht zu Großmächten wie den USA, Russland oder China geschaffen wurde, wird nicht erwähnt. Auch nicht, dass es den Menschen in Europa im Schnitt besser geht als den meisten anderen auf der Welt.
In gut einer Woche kommt es nun zum ersten Show-down. Am 15. März sind rund 13 Millionen Niederländer aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Umfragen zufolge könnte Geert Wilders (53) dabei mit seiner Partei für die Freiheit (PVV) stärkste Kraft werden. Realistische Hoffnungen auf viel Macht oder gar den Posten des Ministerpräsidenten kann er sich Umfragen zufolge allerdings nicht machen, da alle anderen größeren Parteien ein Regierungsbündnis mit der PVV kategorisch ausschließen.
"Die Wahrscheinlichkeit liegt nicht bei 0,1, sondern bei null Prozent", sagte zuletzt der amtierende Ministerpräsident Mark Rutte auf die Frage, ob er eine Zusammenarbeit mit Wilders für möglich halte. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Rechtsliberale Politiker Regierungschef bleiben könnte.
Dass die PVV überhaupt stärkste politische Kraft werden könnte, liegt vor allem daran, dass die Parteienlandschaft in den Niederlanden stark zersplittert ist. Weil es keine Sperrklausel wie die österreichische Fünf-Prozent-Hürde gibt, können sich auch zahlreiche kleine Parteien Hoffnungen darauf machen, in die wichtige zweite Kammer einzuziehen. Insgesamt treten 28 an. Schon 17 Prozent der Stimmen würden nach aktuellen Umfragen ausreichen, um stärkste Partei zu werden.
Fillon gewinnt Machtkampf in Frankreich
Ganz anders, aber im Ergebnis doch ähnlich ist die Lage in Frankreich. Dort liegt die Rechtspopulistin Marine Le Pen (48) in den Umfragen für die erste Runde der Präsidentenwahl (23. April) mit Werten zwischen 25 und 27 Prozent in Führung. In der zweiten und entscheidenden Runde, in der nur noch die beiden erstplatzierten Kandidaten antreten dürfen, sehen sie allerdings alle Meinungsforschungsinstitute als klare Verliererin.
Die besten Aussichten, Nachfolger des Sozialisten Francois Hollande zu werden, hat ihnen zufolge Politik-Jungstar Emmanuel Macron. Der 39 Jahre alte Gründer der Bewegung "En Marche" (Vorwärts) profitiert davon, dass der konservative Francois Fillon unter dem akuten Verdacht der Freunderlwirtschaft steht. Der zunächst als "Saubermann" gefeierte Republikaner beschäftigte seine Frau und zwei Kinder auf Parlamentskosten - weil der Verdacht besteht, dass es sich um Scheinbeschäftigungen gehandelt haben könnte, ist die Sache sogar ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Fillon wurde dennoch von seinen Parteifreunden als Spitzenkandidat bestätigt.
Die Sozialisten haben nach dem Verzicht von Hollande auf eine zweite Kandidatur den als sehr links geltenden Benoit Hamon ins Rennen geschickt. Ihm wird derzeit ein Scheitern in der ersten Runde prophezeit. Viele seiner Wähler dürften dann in der zweiten Runde das Kreuz nicht bei Marine Le Pen machen.
Enttäuschend könnte für die Front-National-Chefin auch die für Juni angesetzte Parlamentswahl enden. Das dort angewandte Mehrheitswahlrecht macht es für die anderen Parteien leicht, sich gegen die Rechten zu verbünden, wenn sich deren Kandidat für die Nationalversammlung durchzusetzen droht. Bei der Wahl 2012 holte die FN so gerade einmal zwei der 577 Sitze - obwohl sie im ersten Wahlgang fast 14 Prozent der Stimmen erhalten hatte.
Viele Wähler noch unentschlossen
Bleibt die Frage nach den Machtperspektiven für die Alternative für Deutschland (AfD) von Frauke Petry und Jörg Meuthen. Kann sie Parteien wie CDU und SPD das Fürchten lehren? Die aktuellen Umfragen deuten eher darauf hin, dass der zeitweilige Höhenflug gestoppt sein könnte. In den jüngsten Umfragen kam die Partei nur noch auf Werte von um die zehn Prozent. Stattdessen beschert Martin Schulz der SPD Hoffnungen auf eine Ablösung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU).
Die selbst ernannten Patrioten um Le Pen, Wilders und Petry hoffen dennoch auf Überraschungen a la Donald Trump. Vor dem Wahltag in den USA hatte es schließlich auch kaum jemand aus dem Establishment für möglich gehalten, dass Trump zum neuen Präsidenten gewählt werden würde. Politikwissenschaftler warnen, dass vor allem in Frankreich viele Wähler noch unentschlossen seien. Zudem weisen sie darauf hin, dass der Rechtsruck in Europa schon lange Realität ist. Ein Blick nach Polen oder Ungarn genüge.
Ansgar Haase/dpa