Deutschlands Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) weilte heute auf Kurzbesuch in Wien. Zunächst traf er Bundeskanzler Christian Kern, dann seinen Ministerkollegen Sebastian Kurz. Nach dem Treffen mit Kurz wurden Auffassungsunterschiede deutlich: Während Kurz darauf pocht, illegale Migranten an der EU-Außengrenze zu stoppen und zurückzuführen, bezweifelt Gabriel, dass dies machbar sei.
Zunächst herrschte freilich Harmonie im Kanzleramt: Gabriel und Kanzler Kern forderten angesichts nationalstaatlicher Tendenzen in Europa, der neuen US-Regierung und des "schwierigen" Partners Russland einen "Schulterschluss" in Europa.
Kern wünscht sich "eine Phase des Zusammenstehens" mit Blick auf die Trump-Regierung, die Europa schwächen wolle, und ähnliche Tendenzen in "der östlichen Nachbarschaft". Es sei "das Gebot der Zeit, dafür zu sorgen, dass die Interessen Europas konsequent und stark vertreten werden". Kern will vor allem Punkte wie Lohn- und Sozialdumping sowie Steuerbetrug in eine große europäische Reformdiskussion einbringen.
Gabriel betonte, Europa brauche vor allem eine gemeinsame Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Von einem Binnenmarkt müsse es "endlich" eine Entwicklung zu einer sozialen Marktwirtschaft in Europa geben. Selbst das bevölkerungsreiche Deutschland werde allein keine Stimme mehr haben, die gehört wird. Künftige Generationen würden "uns dafür verfluchen", wenn es eine Rückentwicklung hin zu Nationalstaatlichkeit gebe.
Befragt zu Berichten, wonach der türkische Präsident Erdogan persönlich unter anderem in Deutschland und Österreich für die umstrittenen Reform der türkischen Verfassung werben will, wollte Gabriel nicht Stellung nehmen. Kern sagte, es gelte das österreichische Demonstrationsrecht.
Kern und Gabriel fordern "Schulterschluss" in Europa
Treffen mit Kurz
Nach dem Treffen mit Sebastian Kurz kam dieser zunächst auf den EU-Parlamentspräsidenten Antonio Tajani zu sprechen: Dieser habe den einstigen Kurz-Vorschlag wiederholt, nach dem Vorbild Australiens Auffanglager für Flüchtlinge und Migranten außerhalb der EU-Grenzen zu errichten. Tajani hatte gegenüber deutschen Zeitungen gesagt: "Es wäre richtig, Auffanglager in Libyen zu installieren. Die EU sollte zu diesem Zweck ein Abkommen mit Libyen vereinbaren."
Kurz' viel kritisierter Vorschlag, "dass wir Menschen, die bei uns illegal ankommen, an der Außengrenze stoppen, versorgen und zurückstellen", sei "Gott sei Dank mehrheitsfähig geworden", betonte der österreichische Außenminister. Dies sei der einzige Weg, um Schleppern die Geschäftsgrundlage zu entziehen und "das Sterben im Mittelmeer" zu beenden.
Deutscher Außenminister Gabriel besuchte Amtskollegen Kurz
Zugleich sprach sich Kurz für "mehr Hilfe vor Ort" in den Herkunftsländern aus sowie für "legale Wege" der Neuansiedlung. "Je mehr wir die Menschen nach Mitteleuropa weiterwinken, desto mehr machen sich auf den Weg", so Kurz.
Gabriel allerdings warnte in puncto Auffanglager: Was mit dem Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei geschafft worden sei, könne nicht so einfach mit Libyen erreicht werden. In Libyen, wo die Regierung nur Teile von Staatsgebiet und Grenzen kontrollieren kann, gebe es "keinen Staat": "Mit wem sollen wir Verabredungen über Auffanglager treffen?" Diplomatische Berichte aus Libyen hätten Deutschland erreicht, wonach in dem nordafrikanischen Land "KZ-ähnliche Zustände für Flüchtlinge" herrschten. Auch Tunesien kämpfe im Demokratisierungsprozess nach dem Arabischen Frühling um seine Stabilität.
"In der besten aller Welten kann man natürlich über solche Konzepte legaler Migration aus solchen Auffanglagern mithilfe des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen reden", sagte Gabriel. Er warnte aber davor, Dinge öffentlich vorstellen, "die wir dann nicht so realisieren können". Die Enttäuschung in der Bevölkerung sei dann umso größer.
Wenn es nach dem deutschen Außenminister geht, sollte tatsächlich die Bekämpfung von Fluchtursachen in den Vordergrund gestellt werden.