In deutschen Medien nennt man Frank-Walter Steinmeier auch gern den "Anti-Trump". Der 61-jährige deutsche Sozialdemokrat hat niemals einen Twitter-Account besessen, und er ist auch nicht der Typ, der seine Botschaften wie US-Präsident Donald Trump in 140 Zeichen formulieren würde.

Auch sein persönlicher Stil von Respekt und Toleranz und seine Fähigkeit, über den Tellerrand zu blicken, machen ihn zum Gegenbild eines Populisten. Schon als Außenminister wirkte er "präsidial". Nach Joschka Fischer war mit ihm 2005 ein neuer, sachlicher Stil ins Ministerbüro eingezogen. Steinmeier galt als blasser Technokrat. Das änderte sich jedoch rascht, die Beliebtheitswerte des damals oft als "Sunnyboy der Außenpolitik" ließen ihn2009  sogar zum – allerdings glücklosen Kanzlerkandidaten werden.

"Versöhner, dem die Menschen vertrauen"

Die Erwartungen an ihn sind hoch: SPD-Politiker haben den designierten Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier in den vergangenen Tagen als "Mutmacher und Versöhner" gewürdigt. Steinmeier wird nach Ansicht von Justizminister Heiko Maas die gefährdete Demokratie entschlossen verteidigen. "Frank-Walter Steinmeier wird den simplen Parolen der Nationalisten und Populisten seine politische Vernunft und Besonnenheit entgegensetzen", sagte Maas. Steinmeier sei "ein Versöhner", dem die Menschen vertrauten.

Steinmeier sei mit all seiner Erfahrung, seiner Ruhe und Verlässlichkeit in schwierigen Zeiten wie diesen "ein Glücksfall für die Bundesrepublik", sagte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz in der Rheinischen Post. "Steinmeier wird als Präsident Brücken bauen und den Zusammenhalt stärken", sagte Schulz.


Steinmeier selbst hatte sich bei seiner Vorstellung vor der Nominierung als "Mutacher" angeboten: Er warb  für eine sachliche politische Debatte, in der sich Menschen "nicht hinter Feindbildern und Echokammern verschanzen". Er betonte die Vorbildfunktion, die Deutschland in der Welt einnimmt: "Wir haben gezeigt, dass aus Krieg Frieden werden kann und aus Trennung Versöhnung. Dafür stehen wir Deutschen." 

Vom Tischlersohn zum Chef der Staatskanzlei

In der deutschen Politik ist Frank-Walter Steinmeier (60) seit bald 20 Jahren eine feste Größe. Jetzt steht der einstige Chefdiplomat vor dem Sprung ins höchste Staatsamt. Es ist die Krönung einer politischen Laufbahn, die in den 1990er Jahren in der niedersächsischen Staatskanzlei begann. Dort stieg der 1956 als Sohn eines Tischlers in Nordrhein-Westfalen geborene Jurist zum Büroleiter und Staatskanzleichef unter Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD). Seine Doktorarbeit trägt den Titel "Bürger ohne Obdach".  Nach der Wahl Schröders zum Bundeskanzler wurde er 1998 Chef des Kanzleramtes in Berlin.

Nach der Abwahl Schröders 2005 übernahm Steinmeier in der Großen Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das Amt des Außenministers. Er wurde bald zu einem der beliebtesten Politiker der Regierung. Doch seine Kanzlerkandidatur bei der Bundestagswahl 2009 endete im Desaster: Die SPD fiel auf 23 Prozent, ihr bis dahin schlechtestes Ergebnis.

Es folgten vier Jahre als SPD-Fraktionschef im Bundestag und Oppositionsführer, bevor er bei der Neuauflage der Großen Koalition 2013 abermals das Außenamt übernahm. Mit etwa 2.500 Amtstagen ist er inzwischen der bundesdeutsche Außenminister mit der drittlängsten Dienstzeit. Nur Hans-Dietrich Genscher und Joschka Fischer waren noch länger im Amt.

Wegen seiner Präsidentschaftskandidatur übergab er Ende Jänner den Ministerposten seinem Parteifreund Sigmar Gabriel.

Schröders Mann für alle Fälle

Aus seinen Zeiten als Staatskanzleichef haftet Steinmeier noch ein bisschen das Image eines bedächtigen und im Grunde langweiligen Bürokraten an. Dabei kann er eigentlich gut mit Menschen umgehen. Und er war der Architekt der Schröderschen Reformen, in dessen Nähe er aufgewachsen, dessen Kanzlerschef in der rot-grünen Regierung er war und dem er auch in der Art des Sprechens frappierend ähnelte. Zufällig waren aus Steinmeier und Schröder Weggefährten geworden. Schröder der Übervater und Steinmeier der junge Strebsame im Hintergrund.

Die offen ausgetragene Leidenschaft in der Politik fehle ihm aber, sagen Beobachter, die ihn gut kennen. Es fehlten die einfachen, verständlichen Botschaften und die spontanen Emotionen. Am besten ist Steinmeier, sagen SPD-Leute ebenso wie Hauptstadt-Journalisten, wenn die Scheinwerfer aus sind. Als Mann für alle Fälle hatte er sich selbst einmal in einem Buch beschrieben.

Eine Niere für die Frau

Viel Respekt verschaffte er sich in Deutschland, als er 2010 seiner schwer erkrankten Frau, der Verwaltungsrichterin Elke Büdenbender,  eine Niere spendete.  Der Fraktionsvorsitzende der deutschen Sozialdemokraten ließ dafür einige Wochen lang die Politik ruhen.

Der 2009 bei den Bundestagswahlen gescheiterte Kanzlerkandidat weiß aus eigener Erfahrung, was eine Organtransplantation bedeutet. Ärzte hatten 1980 bei dem angehenden Juristen vor dem Examen ein Geschwür auf der Hornhaut des linken Auges festgestellt. Er und seine Ärzte entschlossen sich für die damalige Zeit zu einem gewagten Schritt: die Transplantation der Hornhaut eines Spenders. Damit konnte seine Sehkraft gerettet werden. Als Folge des Eingriffs wurde über Nacht aus dem blonden Studenten ein Silberkopf.

Die Erfahrung prägte

Seit dieser Zeit trägt Steinmeier selbst immer einen Organspenderausweis bei sich. Daher war es für den 54-Jährigen selbstverständlich, seiner seit Jahren an einer Nierenschwäche leidenden Frau mit einer Organspende zu helfen. Die beiden sind seit 15 Jahren verheiratet, kennen sich seit den gemeinsamen Studententagen in Gießen und haben eine 14-jährige Tochter.

"Mangels Alternativen und weil die entsprechenden Voruntersuchungen das auch erlauben, werde ich selbst der Organspender sein", hatte er davor bei einer eiligst einberufenen Pressekonferenz erklärt. Wegen der langen Wartezeiten für Spendernieren und dem sich akut zugespitzten Gesundheitszustand der 48-jährigen Richterin für Verwaltungsrecht habe sich die Familie zu der Lebendspende entschieden.

Dass Steinmeier den Schritt in einer entscheidenden Phase seiner Partei ging, machte die Geste mitten im Zentrum der Macht noch bewundernswerter. So wie dies auch einst der SPD-Parteichef Franz Müntefering im Angesicht der hoffnungslosen Krebserkrankung seiner Frau getan hatte.