Die Wahl eines neuen Staatsoberhaupts in Berlin ist im Gange. Gemeinsamer Kandidat der regierenden Großen Koalition ist der frühere Außenminister Frank-Walter Steinmeier (61). Andere Bewerber gelten als chancenlos. Die Linkspartei hat den Armutsforscher Christoph Butterwegge nominiert. Für die rechtspopulistische AfD kandidiert Bundesvize Albrecht Glaser, für die Freien Wähler der (TV-)Richter Alexander Hold. Fünfter Bewerber ist Engelbert Sonneborn, Vater des Satirikers und Europaabgeordneten Martin Sonneborn. Mit dem Wahlergebnis wird nach 14.00 Uhr gerechnet. 

Die Frage ist, ob Steinmeier es schon im ersten Wahlgang schafft. Zuletzt hatte das Posting eines SPD-Politikers für Misstimmung gesorgt, das Steinmeier am Tag vor dessen Wahl schon als neuen Schlossherrn im  Berliner Schloss Bellevue gefeiert hatte:

Das Posting wurde wieder gelöscht, dennoch nahm so mancher CDU-Politiker Anstoß daran und zögerte wieder, Steinmeier seine Stimme zu geben. Andere nehmen es Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel übel, dass es nicht gelungen ist, einen eigenen CDU-Kandidaten ins Rennen zu bringen.

CDU-Generalsekretär Peter Tauber hofft jedenfalls, dass Steinmeier der Präsident aller Deutschen sein werde:

Der deutsche Bundestagspräsident Norbert Lammert hat den scheidenden Bundespräsidenten Joachim Gauck zu Beginn der Zeremonie ausführlich gewürdigt. Gauck habe die Gesellschaft auch immer wieder nachdrücklich in die Pflicht genommen, sich weder verängstigen noch spalten zu lassen, auch nicht in Zeiten terroristischer Gefahren.

Stehende Ovationen für Gauck

Danach gab es stehende Ovationen für den scheidenden deutschen Bundespräsident. Der auf der Tribüne im Reichstag sitzende Gauck nahm den lang anhaltenden Beifall sichtlich bewegt entgegen und kämpfte mit den Tränen: Er musste mehrfach schlucken und tief ausatmen.

Der parteilose evangelische Theologe und langjährige Leiter der Unterlagenbehörde der DDR-Stasi war im März 2012 als Kandidat von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen zum Bundespräsident gewählt worden. Er gilt parteiübergreifend als Glücksfall im Amt des Staatsoberhaupts. Gauck hatte mit Verweis auf sein Alter auf eine zweite Amtszeit verzichtet.

Warnung an Trump

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat den Auftakt des Wahl des Bundespräsidenten auch zu einer eindringlichen Warnung an US-Präsident Donald Trump genutzt, die internationalen Beziehungen nicht zu gefährden. "Wer Abschottung anstelle von Weltoffenheit fordert und sich sprichwörtlich einmauert", wer ein "Wir zuerst" zum Programm erkläre, dürfe sich nicht wundern, wenn es im andere gleichtäten - "mit allen fatalen Nebenwirkungen für die internationalen Beziehungen", ergänzte Lammert, ohne Trump beim Namen zu nennen. In einer spontanen Reaktion erhob sich ein Großteil der mehr als 1200 Mitglieder der Bundesversammlung und applaudierte Lammert stehend, darunter auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

Zur Wahl des Bundespräsidenten kommt in Berlin eine Bundesversammlung zusammen, die sich aus den 630 Abgeordneten des nationalen Parlaments und ebenso vielen Vertretern der Bundesländer zusammensetzt. Der neue Staatschef tritt am 18. März die Nachfolge von Joachim Gauck (77) an, der wegen seines Alters auf eine zweite Amtszeit verzichtet hat.

Die Berliner Regierungskoalition aus Christ- und Sozialdemokraten hatte sich im November nach langem Gerangel auf den SPD-Politiker Steinmeier als gemeinsamen Kandidaten geeinigt. Als kleinerer Regierungspartner hat die SPD in der Bundesversammlung deutlich weniger Stimmen als die CDU/CSU. Angesichts unsicherer Mehrheiten zeigte sich aber unter namhaften Christdemokraten niemand zu einer eigenen Kandidatur bereit.

Große Koalition für Steinmeier

CDU/CSU und SPD kommen in der Bundesversammlung zusammen auf 923 von 1260 Wahlleuten. Auch die Grünen und Liberalen dürften mehrheitlich für Steinmeier stimmen. Nur die Partei Die Linke (95 Wahlleute), die rechtspopulistische AfD (35) und die Freien Wähler (11) schicken eigene Kandidaten ins Rennen. Angesichts dieser Stärkeverhältnisse dürfte Steinmeier im ersten Wahlgang gewählt werden.

Steinmeier war von 2005 bis 2009 und dann wieder ab Ende 2013 deutscher Außenminister. Wegen seiner Präsidentschaftskandidatur gab er die Leitung das Auswärtigen Amtes am 27. Jänner an den bisherigen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ab.

Wenig reale Macht

Der Bundespräsident hat in Deutschland vor allem repräsentative Funktionen und wenig reale politische Macht. Während seiner Amtszeit ruht die Parteimitgliedschaft. Trotzdem erhoffen sich manche Sozialdemokraten von der Wahl Steinmeiers eine Signalwirkung.

Seit der Nominierung des früheren EU-Parlamentschefs Martin Schulz als Kanzlerkandidat hat die SPD in Umfragen deutlich zugelegt. Schulz soll am 19. März auch Gabriel als SPD-Parteichef ablösen. Der neue Bundestag, der über die Zusammensetzung der künftigen deutschen Regierung entscheidet, wird am 24. September gewählt.