Vieles hat sich verändert in diesen fünf Jahren. Als Joachim Gauck im März 2012 zum deutschen Bundespräsidenten gewählt wurde, war er als Kandidat von Rot-Grün angetreten, nominiert dann auch von der FDP, nach einigem Zögern unterstützt von der Union. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe ihn zunächst nicht im höchsten Staatsamt sehen wollen, hieß es damals.
Seitdem wurde immer wieder emsig nach Meinungsverschiedenheiten, Konflikten, zumindest Widersprüchen zwischen dem Präsidenten und der Kanzlerin gesucht. Viel herausgekommen ist dabei nicht, aber in der Flüchtlingspolitik hat Gauck schon im Herbst 2015 einen deutlich anderen Akzent als die Kanzlerin gesetzt: "Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich." Das fanden einige in diesem Moment doch ziemlich zögerlich. Dass auch Merkel inzwischen längst ihren Kurs geändert hat, steht auf einem anderen Blatt.
Jetzt nimmt Gauck Abschied, und er inszeniert ihn am liebsten selbst: Vor Prominenz aus allen Bereichen der Gesellschaft formulierte er am 18. Jänner im Schloss Bellevue so etwas wie ein Vermächtnis. Und weil er bewusst anknüpfte an seine Antrittsrede von 2012 mit der Frage: "Wie soll es aussehen, unser Land?", machte er auch sichtbar, was in diesen fünf Jahren anders geworden ist.
Vorbei die vielleicht etwa naive Euphorie des Anfangs, stattdessen Krisen und Unsicherheit überall. Eindringlich fordert Gauck nun eine "wehrhafte und streitbare Demokratie". Bedenken gegen einen starken Staat lässt er nicht gelten: "Die liberale Demokratie und das politische, normative Projekt des Westens, sie stehen unter Beschuss". Daraus folgt: "Der Rechtsstaat verliert, wenn er sich im Kampf gegen Gewalt und Terror als zu schwach oder gar hilflos erweist."
Ein starker Staat nach innen wie nach außen: Gaucks Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz im Jänner 2014 wird als seine wichtigste in Erinnerung bleiben. "Dies ist ein gutes Land, das beste, das wir kennen", betonte er damals, um dann mehr Anstrengungen auch in der Verteidigungspolitik zu fordern. Er habe diese Rede eigentlich erst zum Ende seiner Amtszeit halten wollen, sagte er einmal. Doch dann schien ihm die Zeit reif zu sein für den Appell an Deutschland, mehr Verantwortung zu übernehmen, notfalls auch militärisch.
Obwohl er mit dieser Forderung nicht alleine stand, sondern Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) in dieselbe Richtung drängten, war es doch für manche ein Tabubruch. Dass man Gauck danach in Karikaturen als Kriegshetzer mit wilhelminischer Pickelhaube zeigte, ließ ihn nicht gleichgültig. Aber Pazifismus war für ihn nie eine Option, auch wenn viele seiner Unterstützer im rot-grünen Lager da anders denken mochten.
Vor seiner Wahl im März 2012 hatte sich Gauck als "linken, liberalen Konservativen" bezeichnet. Die fünf Jahre im Amt, vor allem aber die außen- und innenpolitischen Krisen haben wohl das konservative Element weiter gestärkt. Und vor allem die Besorgnis anwachsen lassen. "Ich bin nicht mehr so optimistisch, wie ich gerne sein möchte."
Er wäre gerne ein 68er gewesen, wenn er denn im Westen gelebt hätte, sagte der frühere DDR-Pastor einmal. Doch je größer die Herausforderungen wurden, desto staatstragender gab er sich: Ukraine, Syrien, Flüchtlinge, Terror, Rechtspopulisten, und nun auch noch der neue US-Präsident Donald Trump.
Und noch einen Kurswechsel hat Gauck in diesen fünf Jahren vollzogen, und nicht nur er. Europa - welche Ernüchterung! Sprach er 2013 noch von einer "immer engeren Union", plädiert er inzwischen für eine Verlangsamung des Integrationsprozesses. Kleine und praktische Schritte fordert er nun, genau wie die Kanzlerin.
Deutschlands Ansehen im Ausland: Oradour, Lingiades, Sant'Anna di Stazzema: An Orten schlimmster deutscher Gräueltaten in Frankreich, Griechenland, Italien bekannte er sich zur deutschen Schuld und schuf damit die Grundlage auch für sein eigenes internationales Ansehen. Die feierliche Zeremonie an der Pariser Sorbonne-Universität zur Verleihung der Ehrendoktorwürde war für Gauck ein großes Geschenk.
Nun liegt es an Frank-Walter Steinmeier. Als Gauck dem scheidenden Außenminister die Entlassungsurkunde überreichte, sagte er: "Für alles, was nun folgen wird, wünsche ich Ihnen Erfolg, eine ebenso glückliche Hand und Gottes Segen." Unterschiedliche Meinungen, etwa zum Verhältnis mit Russland oder beim Streit um die Armenien-Resolution des Bundestages, erwähnte er da natürlich nicht.