Hüseyin Mungal läuft die Straße langsam auf und ab. Seit Montag kommt der 79-Jährige Rentner täglich für einige Stunden zu dem Redaktionsgebäude der Tageszeitung "Cumhuriyet" ("Republik"), um sich für die Pressefreiheit einzusetzen. "Diese Zeitung ist fast so alt wie unsere Republik", sagt er entrüstet. "Man kann sie doch nicht einfach mundtot machen."

So wie Mungal stehen Dutzende Demonstranten vor der Redaktion im Istanbuler Stadtteil Sisli, einem mit Shoppingmalls zubetonierten Viertel auf der europäischen Seite der Millionenmetropole. Sie halten Ausgaben der Zeitung oder Schilder mit der Aufschrift "Bogun egme" - "Beugt euch nicht" hoch. Diese "Wache für die Medienfreiheit" wird ununterbrochen durchgeführt - auch nachts. Dann wird eine mobile Suppenküche aufgebaut, die Demonstranten bekommen dann wärmende Speisen gegen die hochziehende Kälte.

"Keine freie Presse mehr"

Auch Selma Akkus gehört zu den protestierenden. Die 24-jährige Yogalehrerin steht in der Mittagssonne vor einem Wasserwerfer direkt vor der Redaktion. "Wir verwandeln uns immer mehr in eine Diktatur", kritisiert sie. "Es gibt doch keine freie Presse mehr bei uns, bald ist es hier wie in Syrien."

Am Montagmorgen wurden der "Cumhuriyet"-Chefredakteur Murat Sabuncu und weitere Redakteure festgenommen. Gleichzeitig durchsuchten Polizisten die Redaktionsräume in Istanbul und die Privatwohnungen der Journalisten. Der ehemalige Chefredakteur Can Dündar, der momentan in Deutschland lebt, wurde zur Fahndung ausgeschrieben.

Den Journalisten wird vorgeworfen, Verbindungen zu der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen zu haben, den Ankara als Drahtzieher des Putschversuchs verdächtigt. Beide Gruppen gelten in der Türkei als Terrororganisation.

Die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft sind angesichts der Tatsachen absurd: Denn die "Cumhuriyet" hat den Putschversuch umgehend vehement verurteilt, und auch die Gülen-Bewegung und den Terror der PKK immer wieder scharf kritisiert. Doch ebenfalls scharf angegriffen haben die Journalisten die islamisch-konservative AKP-Regierung.

Alternativ-Nobelpreis

Noch ist die 1924 gegründete Zeitung eine der letzten kritischen Zeitungen im Land. Für ihre Berichterstattung wurde das Blatt im September der alternative Nobelpreis zuerkannt. AKP-Kritiker befürchten, dass die Zeitung demnächst von einem staatlichen Treuhänder übernommen wird, oder gänzlich verboten wird. Denn seit der Niederschlagung des Putsches im Juli führt Erdogan eine "Säuberungswelle" gegen all diejenigen vor, die er für mitverantwortlich hält.

Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) warf Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan am Mittwoch eine "aggressive Diktatur unter dem Schleier der Demokratie" vor. Der Politiker gehe mit Mitteln der Anti-Terror-Gesetzgebung gegen Kritiker vor und habe seit dem gescheiterten Putsch im Juli zahlreiche Journalisten verhaften lassen. Derzeit seien mindestens 130 Journalisten im Gefängnis, mindestens 140 Medien seien geschlossen worden, erklärte ROG. Erdogan kontrolliere "nach mehreren Verhaftungs- und Schließungswellen im Zuge des derzeitigen Ausnahmezustands einen Großteil der relevanten Nachrichtenmedien."

"Keine politische Partei, sondern Mafia"

Der bekannte "Cumhuriyet"-Journalist Ahmet Sik verglich nach den Razzien die türkische Regierung mit einer mafiösen Organisation. "Die AKP ist keine politische Partei, sondern eine Mafia. Das Ziel ist es, jeden Bürger, der nicht zu der AKP gehört, mundtot zu machen", sagte Sik der regierungskritischen Zeitung "Birgün". "Falls die Behörden auf der Suche nach einer kriminellen Organisation sind, sollten sie den Sitz des Premierministers der Republik Türkei durchsuchen", sagte Sik weiter.

Der ebenfalls prominente Journalist Hasan Cemal kritisierte die Festnahmen als "Ausweitung des Putsches" von der Regierung. Sein Kollege, der zur Fahndung ausgeschriebene Journalist Yavuz Baydar, der im selbstgewählten Exil im Ausland lebt, nannte das Vorgehen gegen die "Cumhuriyet" einen "Todesstoß".

Kritische Worte, die Tayfun Sari teilt. Auch der 21-Jährige Student demonstriert vor dem Redaktionsgebäude für die Pressefreiheit. "Es geht hier um die Zukunft des Landes", sagt er. "Wenn wir jetzt keinen Widerstand leisten, dann ist es bald zu spät."