Die Konsequenzen der Abstimmung sind allerdings noch nicht wirklich absehbar. Und auch nicht, was Viktor Orban damit eigentlich beabsichtigt. Der Politveteran, der bereits seit 1989 eine prominente Rolle auf dem politischen Parkett spielt, hatte sich bis zum Vorjahr eher als Persönlichkeit gezeigt, für den die Innenpolitik eine weit größere Bedeutung als die Außenpolitik spielte. Seit dem Erdrutschsieg seiner Partei Fidesz im Jahr 2010 hatte er alles dafür getan, um Ungarn nach seinen Vorstellungen umzugestalten - samt umstrittenem Umbau des Justizsystems und der staatlichen Medien und sogar der Verabschiedung einer neuen Verfassung.

Nach seiner problemlosen Wiederwahl 2014 hätte Orban sich eigentlich gemütlich zurücklehnen können. Doch dann kam das Jahr 2015 und die Flüchtlingskrise. Durch seine unnachgiebigen Worte in einer Situation, wo täglich tausende Flüchtlinge die ungarische Grenze passierten, und sein hartes Vorgehen - einschließlich des Baus eines Grenzzauns im Süden - erhielt Ungarns Regierungschef auch international plötzlich Gehör und wurde zu einer Galionsfigur der Einwanderungskritiker in ganz Europa.

Irreführende Befragung

Daher erscheint es zunächst wenig verständlich, warum er nun, ein Jahr nach dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, ein Referendum benötigt, das laut Beobachtern eine rein populistische Zielrichtung besitzt. Bereits die Fragestellung erscheint angesichts des geltenden EU-Rechts absurd: Denn laut den auch von Ungarn unterzeichneten EU-Verträgen sind die Beschlüsse des EU-Rates auch ohne die Ratifizierung durch nationale Parlamente bindend.

Politische Gegner wie Ex-Premier Ferenc Gyurcsany sahen dann auch gleich hinter der Abstimmung das Bestreben Orbans, vorgezogene Neuwahlen vom Zaun zu brechen, und sich womöglich erneut eine Zwei-Drittel-Mehrheit - die zuletzt verloren gegangen war - im Parlament zu sichern. Der Premier selbst dementierte diese Spekulationen allerdings energisch in einem Interview mit dem Internetportal "Origo" in der Vorwoche: "Eine vorgezogene Wahl ist (...) eine ziemlich hinterlistige Sache. (...) Die Menschen spüren ganz genau, dass es da nicht mehr um sie, um ihre Zukunft geht (...). (...) Es ist kein Zufall, dass vorgezogene Wahlen meistens verloren werden."

Der Premier bot zuletzt am Rande des Flüchtlingsgipfels in Wien seine eigene Begründung für sein Vorgehen an. Es gehe ihm vor allem darum, in Zukunft zu verhindern, dass Ungarn erneut innerhalb der EU "ausgetrickst" werde, sagte er vor Journalisten. Derzeit gibt es zwar eine (entgegen dem Votum Ungarns) geltende EU-Flüchtlingsquote über die Umverteilung von insgesamt 160.000 über Italien und Griechenland eingereisten Asylwerbern - aber diese wird von keinem einzigen EU-Land eingehalten und gilt damit vorerst politisch als "tot".

Doch obwohl heute dem Thema Quote in der EU immer verschämter ausgewichen wird - Orban will sich offenbar auch für die Zukunft absichern. Bei der Volksabstimmung gehe es um eine "historische Frage", unterstrich er zuletzt in Wien. "Wer soll entscheiden, ob wir mit jemandem zusammenleben sollen? Wir, die Europäische Kommission oder Brüssel?"

Offenbar führt Orban mit dem Votum also seinen langjährigen "Freiheitskampf" gegen Brüssel weiter: ein Balanceakt zwischen innenpolitischer Anti-Brüssel-Rhetorik und der Sicherung der (finanziellen) Vorteile der EU-Mitgliedschaft für Ungarn.

Nichtsdestotrotz ist ihm in diesem Fall die Bestätigung durch das "Volk" sehr wichtig: "Ich wäre ein bisschen enttäuscht, wenn es keine hundertprozentige Teilnahme gebe", feixte er gegenüber "Origo". Für die Gültigkeit ist eine mindestens 50-prozentige Teilnahme erforderlich. Was passiert, wenn weniger Stimmbürger hingehen - eine Entscheidung, für die die meisten der kleineren linken Oppositionsparteien werben - steht in den Sternen. Auf jeden Fall hat die Regierung bereits "legistische Maßnahmen" nach dem Votum angekündigt. Deren Inhalt wollte zwar noch kein Politiker verraten - kommen werden sie aber wohl auf jeden Fall, egal, wie das Referendum ausgeht.