CETA scheidet die Geister: Die SPÖ-Basis hat sich gegen das Freihandelsabkommen mit Canada abgesprochen - Bundeskanzler und Parteichef Christian Kern muss sich entscheiden, ob er diesem Votum Rechnung trägt oder sich dem Druck des übrigen Europa beugt, dem sich inzwischen auch SPD-Chef Sigmar Gabriel gebeugt hat.
Georg Kapsch, Pärsident der Industriellenvereinigung (IV), und IV-Generalsekretär Christoph Neumayer hingegen haben am Donnerstag neuerlich die Bedeutung des Abkommens unterstrichen. Österreich sollte sich überlegen, ob es sich denn nicht blamiere, wenn es als einziges Land dem geplanten Freihandelsabkommen nicht zustimme, gab Kapsch zu bedenken. Es könne ein großer Imageschaden entstehen - für das Land und seine Unternehmen, ob groß oder klein.
Im Ausland bekomme er zu hören, dass Österreich Europa blockiere. Es könne so weit kommen, dass es heiße "wenn ihr nicht mit uns wollt, wollen wir auch nicht mit euch", warnte der Industrielle. Das Argument, CETA helfe nur den Multinationalen, stimme nicht, denn diese erfüllten schon die nötigen Standards. "Die Kleinen brauchen den Abbau der Handelsschranken."
CETA könne so genommen werden, wie es verhandelt ist. TTIP hingegen sehe man differenziert, hier gebe es noch viele offene Punkte. Kapsch äußerte die Sorge, dass Europa langfristig zwischen Asien und Nordamerika aufgerieben werden könnte. Langfristig brauche es auch ein Freihandelsabkommen mit Russland.
Eine Analyse der österreichischen Möglichkeiten in acht Punkten:
Nach dem Nein der roten Basis zu Ceta stellt sich die Frage: Kann Kanzler und SPÖ-Chef Kern das zwischen Kanada und der EU ausgehandelte Freihandelsabkommen noch stoppen?
ANTWORT: Die Frage ist eher: Will er es überhaupt stoppen? Rechtlich bestünde allenfalls die Möglichkeit, doch dafür bedarf es politischen Muts. Nach dem Einlenken der SPD unter Sigmar Gabriel steht Kern im Kreis der 28 EU-Staaten ziemlich isoliert da. Ende Oktober soll das Abkommen von den 28 Regierungschefs sowie von Kanadas Premier Trudeau in Brüssel unterzeichnet werden. Kern hat bereits angedeutet, allenfalls mit „fliegenden Fahnen unterzugehen“. In den nächsten Tagen wird der Druck auf Kern von Merkel, Juncker, Trudeau & Co. erhöht werden.
Welchen rechtlichen Hebelhat Kern, um Ceta doch noch zu stoppen?
ANTWORT: Die heute in Bratislava beginnende Tagung der EU-Handelsminister ist irrelevant, weil es sich nur um ein informelles Treffen handelt. Am 18. Oktober soll Ceta im Kreis der EU-Außenminister zur Abstimmung gelangen. Selbst wenn Außenminister Sebastian Kurz dagegen stimmt, bliebe es ohne Folge, weil dafür eine qualifizierte Mehrheit nötig ist, Österreich also spielend überstimmt werden kann. Anders ist es allerdings bei der feierlichen Unterzeichnung am 27. Oktober in Brüssel.
Und wenn sich Kern weigert, das feierliche Abkommen am 27. Oktober in Gegenwartseiner EU-Kollegen zu unterzeichnen?
ANTWORT: Für die Unterzeichnung von Ceta benötigt Kern eine Vollmacht, die ihm auf Basis eines Koalitionsbeschlusses vom Bundespräsidenten erteilt wird. In Ermangelung eines Staatsoberhaupts sind die drei Nationalratspräsidenten gefordert, also auch Ceta-Gegner Norbert Hofer, allerdings entscheidet das Trio mit Mehrheit, Hofer kann von Bures und Kopf überstimmt werden. Unterzeichnet Kern Ceta nicht, könnte die Kommission eine rechtliche Brücke für das Inkrafttreten bauen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass es Kern auf die Spitze treiben wird.
Kern pochte gestern in New York auf Verbesserungen bei Ceta. Was ist darunter vorstellbar?
ANTWORT: Gute Frage. Auf Druck der deutschen SPD haben schon am Wochenende EU-Kommissarin Maelström und Kanadas Handelsminister Freeland Verhandlungen über eine Zusatzerklärung aufgenommen, die zwar rechtlich bindend ist, allerdings substanziell keine neuen Elemente enthält. Bereits im Vertrag enthaltende Bestimmungen sollen einfach präzisiert werden.
Was soll diese Erklärunggenau umfassen? Wasist deren Inhalt?
ANTWORT: In der Erklärung soll noch einmal festgehalten werden, dass durch Ceta weder die Umwelt- noch die Sozialstandards unterminiert werden sollen. Auch arbeitsrechtliche Vereinbarungen sollen nicht ausgehebelt werden können. Am Streitbeilegungsverfahren wird allerdings festgehalten, die Unabhängigkeit der Institution soll jedoch hervorgestrichen werden.
Wie endet das Tauziehenum Ceta? Wird Kern amEnde des Tages einlenken?
ANTWORT: Sehr wahrscheinlich. Er dürfte die - eher substanzlose - Erklärung zum Vorwand nehmen, um doch noch die Kurve zu kratzen. Hätte die SPÖ nicht mit dem Veto gedroht oder die Mitglieder befragt, hätte das Papier nie das Licht der Welt erblickt, wird es heißen. Österreich hat in der EU noch nie ein Veto durchgehalten, siehe Temelín oder Türkei (beides unter Schwarz-Blau).
Ceta steht für Comprehensive Economic and Trade Agreement. Doch um was geht es in diesem Abkommen eigentlich wirklich?
ANTWORT: Die grundlegende Idee des Abkommens mit Kanada ist der Abbau von Zöllen. Der freie Handel zwischen Kanada und der EU soll damit gefördert werden. Kein Zoll mehr - damit hätten wohl die wenigsten ein Problem. Doch der Teufel steckt im Detail. Kanada ist zwar nicht mit den USA vergleichbar, dennoch hat auch Kanada eine andere Kultur, wenn es um die Sicherheit von Produkten und Lebensmitteln geht. Diese sollen mit Ceta anerkannt werden. Und dann ist da der Investorenschutz. Das Abkommen sieht hier Sondergerichte für Konzerne vor.
Die EU-Kommission wirbt für Ceta. Doch braucht die EU wirklich ein Freihandelsabkommen mit Kanada? Oder braucht nicht vielmehr Kanada ein Abkommen mit der EU?
ANTWORT: Kanada hat 36 Millionen Einwohner. In der EU leben 510 Millionen Menschen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Kanadas liegt mit 1600 Milliarden US-Dollar zwischen der Wirtschaftsleistung Spaniens und Italiens. Beim BIP pro Kopf liegt Kanada hinter Österreich und Deutschland. Kanada würde deutlich stärker von Ceta profitieren als die EU. Auch die Auswirkungen von Exporten aus Kanada wären geringer als vielfach behauptet. Die EU sitzt hier am längeren Ast und kann mehr Eingeständnisse fordern.
MICHAEL JUNGWIRTH UND ROMAN VILGUT