Lange sahen sich die mittelosteuropäischen Visegrad-Staaten (Ungarn, die Slowakei, Tschechien und Polen, V4) innerhalb Europas an den Rand gedrängt. Nach dem Brexit-Votum in Großbritannien und zunehmenden Widerstände gegen die Flüchtlingsaufnahme in der EU, gewinnt die Gruppe jedoch zunehmend an Selbstbewusstsein. Beim Gipfel in Bratislava wollen sie ihr "Rezept für die EU" vorlegen.

Zwar heißt es in allen vier Hauptstädten übereinstimmend, dass eine zukünftige Vision für Europa sich auch um Wirtschaftswachstum und Investitionen drehen müsse. Anders als etwa die Länder Südeuropas bei ihrem "Pre-Bratislava-Treffen" in Athen, legen die zunehmend nationalistischen Visegrad-Staaten den Fokus jedoch klar auf die Frage der inneren- und äußeren Sicherheit sowie die Flüchtlingsfrage.

Die EU müsste endlich wieder eine "starke" Gemeinschaft werden, teilten die V4 nach Gesprächen vergangene Woche in Polen mit. Die Ursache für die Zuwanderung sei nicht Krieg, sondern dass die EU "reich, aber schwach" sei.

Solidarität im Migrationsbereich

Getragen von der Slowakei, deren Premier Robert Fico erst kürzlich wieder erklärte, trotz der Rolle als EU-Ratsvorsitzenden an der Klage gegen die - ohnehin nicht funktionierende - EU-Flüchtlingsverteilung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) festhalten zu wollen, sträuben sich die V4 gegen jegliche Solidarität im Migrationsbereich.

"Ich halte es für kontraproduktiv, dass die EU-Kommission diesen toten Entwurf zur dauerhaften Quoten erneut auf den Tisch legt", monierte etwa Tschechiens eigentlich sozialdemokratischer Premier Bohuslav Sobotka, der in seinem Land in Migrationsfragen als geradezu liberal gilt. Die Aufnahme von Flüchtlingen müsse "völlig unter Kontrolle der nationalen Regierungen bleiben", erteilte er gleich auch noch Forderungen nach einem einheitlichen EU-Asylsystem eine Absage.

In Ungarn - das gegen die EU-Flüchtlingsverteilung ebenfalls vor dem EuGH klagte - lässt Premier Viktor Orban am 2. Oktober sogar ein Referendum in der Sache abhalten. Im Vorfeld verschärfte der Hardliner der Visegrad-Gruppe die Spitzen gegen die "EU-Elite" in Brüssel. Erst am Wochenende bezeichnete er EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker als "Nihilisten".

Verteidigungsstruktur

Aufs Tempo drücken die Visegrad-Staaten hingegen in der Frage einer EU-Armee, die in der Vorform einer "gemeinsamen Verteidigungsstruktur" auf der Agenda in Bratislava steht. Treibende Kraft sind hier vor allem Tschechien und Ungarn. "Wir sollten das Sicherheitsthema als Priorität ansehen. Und wir sollten eine gemeinsame europäische Armee anstreben", forderte Orban Ende August.

In der Frage der Zusammenarbeit mit der Türkei legte Ungarn in den vergangenen Monaten wiederum einen beachtenswerten Richtungswechsel hin. Während Orban im Februar den damals noch nicht umgesetzten Flüchtlingsdeal mit der Türkei als eine "Illusion" bezeichnete, sprach sich sein Außenminister Peter Szijjarto Anfang September klar gegen den von Österreich geforderten Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit Ankara aus: "Wir sehen keinen Grund dazu (...) Die Sicherheit Europas fängt mit der Sicherheit der Türkei an."

Auch von der Slowakei und Polen kann sich Österreich keine Schützenhilfe erwarten. Lediglich in Prag ist die Position ambivalenter. Zwar begrüßt die tschechische Regierung die "deutliche Verlangsamung" der Flüchtlingsbewegung nach Inkrafttreten des Deals mit Ankara, zugleich lehnte das Parlament noch im März die von der Türkei geforderte Visafreiheit klar ab. Und der für seinen Populismus bekannte Präsident Milos Zeman sprach erst kürzlich von "Erpressung" vonseiten Ankaras und wählte damit dieselben Worte wie Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP).