Nordkorea kommt nach eigenen Angaben seinem Ziel näher, verfeindete Staaten mit Atomraketen angreifen zu können. Nach einem neuerlichen Atomtest erklärte die kommunistische Führung des isolierten Landes am Freitag, Nordkorea beweise damit, dass es ballistische Mittelstreckenraketen mit Atom-Sprengköpfen bestücken könne.
Experten zufolge hatte die Detonation am frühen Morgen eine größere Sprengkraft als die Atombombe, die die USA im Zweiten Weltkrieg auf Hiroshima abwarfen. Der zweite Atomtest innerhalb weniger Monate löste weltweit Besorgnis aus. US-Präsident Barack Obama drohte mit ernsten Konsequenzen. Russland plädierte für eine scharfe Antwort. Nordkoreas engster Verbündeter China kündigte eine Protestnote an. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) bezeichnete den mutmaßlich fünften Atomwaffentest Nordkoreas als "zutiefst beunruhigenden und bedauerlichen Akt".
Das kommunistische Regime treibt sein Atomprogramm trotz scharfer internationaler Sanktionen voran, wenn auch die Angaben zur Bestückung von Raketen mit Atomsprengköpfen nicht von unabhängiger Seite bestätigt werden konnten. Südkorea äußerte sich besorgt, dass der Norden nach Geheimdiensterkenntnissen offenbar Fortschritte bei der Verkleinerung von Sprengköpfen mache, so dass sie für ballistische Waffen eingesetzt werden könnten. Erst am Montag feuerte Nordkorea während des G-20-Gipfels im benachbarten China drei Raketen ab, die nach südkoreanischen Angaben bis in den japanischen Luftverteidigungsraum flogen, bevor sie ins Meer stürzten.
Starkes Beben gibt Hinweis
Mehrere Erdbebenwarten hatten am frühen Morgen ein schwere Erschütterung in Nordkorea aufgezeichnet. Die Stärke der Erdstöße schwankte zwischen 5 und 5,3. Umgehend kam der Verdacht auf, dass es sich um einen Atomtest handeln könnte - den fünften dieser Art. Die Erschütterung wurde nach südkoreanischen Angaben in der Nähe des Geländes registriert, wo Nordkorea im Jänner zum vierten Mal eine Atom-Detonation ausgelöst hatte. Der erneute Test fiel auf den Jahrestag der Gründung der Volksrepublik im Jahr 1948. Es dürfte sich um eine Machtdemonstration von Staatschef Kim Jong-un handeln.
Die Sprengkraft war Experten zufolge gewaltiger als bei allen anderen Tests zuvor. Jeffrey Lewis vom Middlebury Institut Internationaler Studien in Kalifornien schätzte sie auf 20 bis 30 Kilotonnen. Das wäre mehr als die Bombe auf die japanische Stadt Hiroshima. Südkoreas Militär ging der Nachrichtenagentur Yonhap zufolge vorerst von zehn Kilotonnen aus.
Über Art und Umfang des Atomwaffenarsenals Nordkoreas gibt es wenig Gesichertes. Der Bestand - mit Stand August 2016 - werde auf sechs bis acht Sprengkörper auf Plutonium-Basis geschätzt, schreibt die Gruppe Arms Control Association (Rüstungskontrollvereinigung) in den USA. Durch die Produktion von hoch angereichertem Uran, was im Fall Nordkoreas jedoch unklar ist, könnte Nordkorea Material für zusätzliche vier bis acht Bomben haben.
Politische Bedeutung der Bombe
Doch nicht nur militärisch, sondern auch politisch sind Atomwaffen für das Regime von großer Bedeutung. "Nuklearwaffen spielen eine wichtige Rolle für die Legitimierung der Macht Kim Jong-uns", sagt der Forscher Park Hyeong-jung vom staatlichen koreanischen Institut für Nationale Vereinigung in Seoul. Kim, der Anfang 30 sein soll, wolle den Eliten des Landes und der restlichen Bevölkerung zeigen, dass Nordkorea "unbesiegbar" sei. Auch der Tag des jüngsten Tests habe eine symbolische Bedeutung - Nordkorea feierte am Freitag den 68. Jahrestag der Staatsgründung.
Südkoreas Präsidentin Park Geun-hye erklärte, der Test belege die "wahnsinnige Rücksichtslosigkeit" des Machthabers Kim. Es handle sich um einen klaren Verstoß gegen Resolutionen des UNO-Sicherheitsrats, der zuletzt seine Sanktionen wegen des nordkoreanischen Atomprogramms verschärft hatte. Nordkorea ignoriere auf ganzer Linie die Forderungen der internationalen Gemeinschaft nach einer Abkehr vom Streben nach Atomwaffen.
Noch für Freitag berief der UN-Sicherheitsrat eine Sitzung unter Ausschluss der Öffentlichkeit ein. Obama bekräftigte umgehend die Unterstützung der Verbündeten in der Region. In Südkorea sind mehrere tausend US-Soldaten stationiert. Auch China verurteilte den Test scharf und rief die Führung des Landes zur Zurückhaltung auf. Gleichzeitig kündigte das Nachbarland einen diplomatischen Protest bei der nordkoreanischen Botschaft in Peking an.
Peking fürchtet den Kollaps
China will den Status quo jedoch bewahren. Peking fürchtet nichts mehr als einen Kollaps des nordkoreanischen Regimes, der in einer Wiedervereinigung unter Südkoreas Führung mit einer Schutzmacht USA münden könnte. Zum einen ist Pekings Einfluss trotz seiner historischen Bande zu Pjöngjang begrenzt - zum anderen macht die Führung in Peking auch die USA und Südkorea für die Eskalation verantwortlich. Washington und Seoul hätten "Öl ins Feuer gegossen", indem sie das moderne US-Raketenabwehrsystem THAAD stationieren wollten, was auch China als Bedrohung empfindet.
Wie weit Sanktionen noch gehen können, ist unklar. Nordkorea ist bereits von den wichtigsten Handelsströmen der Welt abgeschnitten. China, auf das der Großteil des nordkoreanischen Außenhandels entfällt, hatte nach dem Atomtest im Jänner beschränkte Handelssanktionen gegen den Nachbarn verhängt.
Japans Ministerpräsident Shinzo Abe sagte, ein solcher Test könne nicht toleriert werden. Die Regierung in Tokio erwäge weitere einseitige Sanktionen, erklärte ein Sprecher. Auch Russland zeigte sich besorgt und mahnte Nordkorea, die UN-Resolutionen zu befolgen. Außenminister Sergej Lawrow forderte ein entschiedenes Signal an Kim.
Starke internationale Reaktionen
Die NATO forderte die nordkoreanische Führung auf, ihre Nuklear-Aktivitäten zu stoppen. Die deutsche Bundesregierung sprach von einer Provokation, durch die Nordkorea Südostasien destabilisieren wolle. Das Auswärtige Amt kündigte an, den nordkoreanischen Botschafter in Berlin einzubestellen. Die erste Reaktion aus China stimme zuversichtlich, dass sich der UN-Sicherheitsrat darauf verständige, jetzt all das zu tun, was notwendig sei, sagte ein Ministeriumssprecher in Berlin.
Auch Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) verurteilte in einer Aussendung am Freitag "diese neuerliche Verletzung der Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates auf das Schärfste". Eine klare Reaktion des UNO-Sicherheitsrates sei erneut notwendig.
Die Erschütterungen und Signale aus Nordkorea wurden auch in Österreich von Erdbebenmessgeräten registriert. Der Österreichische Erdbebendienst der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) konnte in der Nacht auf Freitag um 0:41 (Weltzeit) ungewöhnliche seismische Signale aus Nordkorea mit einer Magnitude von 5,3 messen. Das Epizentrum der von der ZAMG gemessenen Erschütterungen liege in der Nähe der Punggye-ri Testbasis in Nordkorea und stimme damit mit den Orten der vergangenen Tests von 2006, 2009, 2013 und Jänner 2016 überein. Die Explosion habe um 0:30 Uhr (Weltzeit) stattgefunden. Die seismischen Wellen erreichten Österreich nach 11,5 Minuten um 0:41 Uhr (Weltzeit).
Das politisch und wirtschaftlich abgeschottete Land missachtet mit seinen wiederholten Atom- und Raketentests Resolutionen des UN-Sicherheitsrats, die von der Veto-Macht China mitgetragen werden. Die internationale Gemeinschaft ist politischen Beobachtern zufolge aber zunehmend hilflos. Es seien bereits so viele Sanktionen verhängt worden, dass die Politik in einer Sackgasse angekommen sei, sagte der Korea-Experte Tadashi Kimiya von der Universität Tokio. "Die Möglichkeiten der USA, Südkoreas und Japans, mehr Druck auf Nordkorea auszuüben, haben ihr Limit erreicht."
Die meisten Asien-Börsen reagierten mit Verlusten auf den Atomtest. Der MSCI-Index für die Region Asien/Pazifik unter Ausschluss Japans verlor 0,5 Prozent. Die geopolitischen Spannungen dämpften zusätzlich zu den Sorgen um das globale Wirtschaftswachstum die Kauflaune, sagten Händler.