Die österreichische Bundesregierung hat unter den EU-Staaten offenbar keinen deklarierten Verbündeten für die Forderung nach einem Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) bekräftigte die Position am Freitag bei einem informellen Außenministerrat in Bratislava.
"Der Bundeskanzler hat gesagt, dass er das bei den Staats- und Regierungschefs thematisieren wird. Ich gehe davon aus, dass er das macht", sagte Kurz zu der Forderung nach einem Abbruch der Verhandlungen. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) nimmt an dem informellen Gipfel der 27 EU-Staaten ohne Großbritannien zur Zukunft der EU am 16. September in Bratislava teil.
Als Außenminister könne er mitentscheiden, ob neue Kapitel in den Gesprächen mit der Türkei eröffnet werden. "Ich gehe nicht davon aus, dass neue Kapitel eröffnet werden sollen. Ich halte das auch für falsch. Ich fühle mich in dieser Position auch nicht allein", so Kurz, der darauf hinwies, dass jeder Fortschritt in den Verhandlungen Einstimmigkeit erfordere.
Entwicklungen in der Türkei problematisch
Die Entwicklungen in der Türkei nach dem Putschversuch seien sehr negativ, sagte der Außenminister. Der Putsch sei klar zu verurteilen, "aber Säuberungswellen und der Versuch, Andersdenkende mundtot zu machen, das halten wir für den falschen Weg. Hier muss die Europäische Union meiner Meinung nach klar Haltung zeigen."
Der zuständige EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn - ebenso wie Kurz ÖVP-Politiker - sieht einen Mehrheit der EU-Staaten gegen den von Österreich verlangten Stopp der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. "Wir haben gegenwärtig wichtigere Gesprächsthemen mit der Türkei als die Beitrittsverhandlungen. Da wird zum Teil eine artifizielle Diskussion kreiert", sagte er. "Im Gespräch zu bleiben ist beste österreichische Tradition, und so wird das auch in Zukunft sein."
Auch der slowakische Außenminister Miroslav Lajcak, dessen Land gerade die EU-Ratspräsidentschaft innehat, sagte: "Ich bin persönlich nicht dafür. Der Beitrittsprozess ist der beste Hebel, den die EU hat, wenn wir den Prozess in Kandidatenländern beeinflussen wollen."
Ähnlich äußerten sich auch andere EU-Außenminister. "Ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist", sagte der italienische Ressortchef Paolo Gentiloni zur Frage eines Abbruchs der Beitrittsgespräche.
Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn warnte davor, dass dann die EU keinen Einfluss mehr auf die Türkei hätte. Man habe am Beispiel der türkischen Diskussion zur Todesstrafe gesehen, "wie zurückgerudert wurde" auf Druck der EU. "Wir sollten versuchen die Botschaft zu geben, dass wir dem Tauwetter eine Chance geben."
"Schlechte Botschaft"
"Es wäre eine sehr schlechte Botschaft, wenn die Beitrittsverhandlungen jetzt gestoppt würden. Wir sehen keinen Grund dazu", sagte Ungarns Außenminister Peter Szijjarto gegenüber der APA. "Die Sicherheit Europas fängt mit der Stabilität der Türkei an. Wer die Stabilität der Türkei angreift, greift die Sicherheit Europas an, weil derzeit ist es die Türkei, die den Migrationsfluss zurückhält", sagte Szijjarto. "Wenn die Türkei instabil wird, werden wir denselben oder sogar einen noch ernsteren Migrationsstrom aus dem Süden sehen wie letztes Jahr."
Der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses im Europaparlament, der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok, bezeichnete die österreichische Forderung nach einem Stopp der Beitrittsgespräche mit Ankara als "wenig hilfreich. Ich bin nie Anhänger der Mitgliedschaft der Türkei gewesen. Aber jetzt haben wir Verhandlungen und wir dürfen die Tür nicht zuschlagen." Die Türkei wolle die Flüchtlingsvereinbarung mit der EU einhalten, sagte Brok.
Die Türkei wolle sich auch bei der Anpassung ihrer Terrorgesetze zur Visa-Befreiung bewegen, sagte Brok. Ankara wolle aber nach dem Putschversuch vom Juli nicht den Eindruck erwecken wolle, bei der Terrorismusbekämpfung nachzulassen. Eine Einigung zur Visabefreiung in diesem Jahr hält Brok für möglich. Am morgigen Samstag wollen die EU-Außenminister mit dem türkischen Europaminister Ömer Celik die jüngsten Ereignisse in der Türkei diskutieren.