Mit einer Gegenstimme und einer Enthaltung verabschiedete der Deutsche Bundestag im Juni dieses Jahres die Resolution: Darin wurde der Massenmord an bis zu 1,5 Millionen Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs als Völkermord eingestuft. Ein Begriff, den die Türkei - Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches - bis heute nicht hören will. Und so reagierte Ankara damals auch aggressiv wie selten zuvor.

Die UNO definiert Völkermord als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, "begangen in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören". In Frankreich gelten die Massaker an den Armeniern schon seit 1998 als Völkermord.

Der Antrag in Deutschland kam gemeinsam von der CDU/CSU, der SPD und den Grünen. Der Abstimmung fern blieben gestern Kanzlerin Angela Merkel, Vizekanzler Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier, was Linken-Senior Gregor Gysi "nicht besonders mutig" nannte. Merkel hatte tags zuvor für die Resolution gestimmt und am Tag der Abstimmung lieber bei einem Kongress zur digitalen Bildung über ihr Physikstudium geplaudert, wie "Spiegel online" entdeckte.

Bundestagspräsident Norbert Lammert hielt während der Debatte in Berlin fest, dass die heutige Regierung in der Türkei nicht verantwortlich sei für die Ereignisse während des Ersten Weltkriegs. Doch sei sie "mitverantwortlich für das, was in Zukunft daraus wird". Der türkische Präsident reagierte prompt.

Recep Tayyip Erdogan erklärte damals, die Resolution werde "ernste" Folgen für die deutsch-türkischen Beziehungen haben. Merkel versuchte zu kalmieren und betonte die engen Verbindungen zwischen Deutschland und der Türkei. Die Regierung in Ankara zeigte sich davon wenig beeindruckt. Sie rief den türkischen Botschafter aus Berlin zurück und bestellte den deutschen Vertreter nach Ankara.

Der türkische Justizminister Bekir Bozdag sprach Deutschland aufgrund seiner Nazivergangenheit das Recht zu urteilen ab und vergriff sich massiv in der Wortwahl. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavusoglu richtete der deutschen Regierung via Twitter aus, mit der Armenien-Resolution von den "dunklen Seiten der eigenen Geschichte" ablenken zu wollen. Das Deutsche Kaiserreich war im Ersten Weltkrieg enger Verbündeter des Osmanischen Reichs, hohe Offiziere hatten die Massaker als Kollateralschaden hingenommen und geschwiegen.

Man müsse "die Dinge in Freiheit beim Namen nennen", erklärte im Vorjahr Papst Franziskus und nannte den Massenmord an den Armeniern "Völkermord". Erdogan reagierte damals wie heute aggressiv und drohte auch dem Papst: "Ich möchte ihn dafür rügen und warnen." MANUELA SWOBODA