Die deutsche Regierung hat Berichte zurückgewiesen, wonach sie sich von der Einstufung der Massaker an den Armeniern als Völkermord durch den Deutschen Bundestag distanziere. "Davon kann überhaupt keine Rede sein", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin. Er wies allerdings darauf hin, dass die Entschließung des Parlaments vom Juni keine rechtlich bindende Wirkung habe.
Zuvor hatte "Spiegel Online" berichtet, die Regierung wolle sich von der Armenier-Resolution des Bundestages öffentlich distanzieren und damit eine Forderung der Regierung in Ankara erfüllen. Dieser Schritt solle es ermöglichen, dass deutsche Abgeordnete wieder zum Luftwaffenstützpunkt Incirlik im Osten der Türkei reisen dürfen, um die dort stationierten Bundeswehrsoldaten zu besuchen.
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hätte die Distanzierung auch mit noch geplanten NATO-Einsätzen zu tun. Das Militärbündnis will in Kürze damit beginnen, den internationalen Anti-Terror-Kampf in Syrien und im Irak mit Flügen von AWACS-Aufklärungsflugzeugen zu unterstützen. Da auf den Maschinen deutsche Bundeswehrsoldaten ihren Dienst tun, wäre der vorgesehene Einsatz der Maschinen von der Türkei wegen des Streits um die Armenien-Resolution heikel gewesen. Zudem gefährde der Konflikt zwischen Deutschland und der Türkei die Planungen der NATO für den Start eines neuen Marineeinsatzes im Mittelmeer. Bei der Operation "Sea Guardian" sollen ebenfalls AWACS-Maschinen des Bündnisses zum Einsatz kommen. Die Mission geht aus dem Einsatz "Active Endeavour" hervor, der nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 gestartet worden war.
"Der Deutsche Bundestag hat das Recht und die Möglichkeit, sich zu jedem Thema zu äußern, wann immer er das für richtig hält - und die Bundesregierung unterstützt und verteidigt dieses souveräne Recht der deutschen Volksvertretung", sagte Seibert. Der Regierung stehe es nicht zu, sich in die Zuständigkeiten eines anderen Verfassungsorgans einzumischen und sich dazu wertend zu äußern. Das Parlament habe sein Recht auch bei der vor drei Monaten nahezu einstimmig verabschiedeten Resolution ausgeübt. Der Bundestag habe damit Auffassungen zu politischen Fragen zum Ausdruck gebracht, "ohne dass diese rechtsverbindlich sind". Auch Außenamtssprecher Martin Schäfer sagte, auch bei Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) könne von Distanzierung keine Rede sein.
In der Resolution wird die Vertreibung der Armenier im Osmanischen Reich ab 1915 als Völkermord bezeichnet. Die türkische Regierung hat den Beschluss scharf verurteilt. Sie lehnt den Begriff entgegen der Meinung der meisten Historiker ab. Sie hat von der deutschen Regierung eine Distanzierung gefordert und dies mit dem Besuchsrecht deutscher Parlamentarier bei den Bundeswehr-Soldaten auf dem NATO-Stützpunkt Incirlik verknüpft, das sie derzeit verweigert.
Mehr als 20 Einzelstaaten und internationale Institutionen haben den Völkermord anerkannt, darunter Frankreich, Italien und Russland sowie der österreichische Nationalrat im Vorjahr zum 100. Jahrestag der Ereignisse per gemeinsamer Erklärung aller Fraktionen. Die türkische Regierung hat stets mit scharfer Kritik und diplomatischen Schritten auf die Anerkennung der Massaker als Völkermord reagiert. Als Verbündete des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg wussten auch die Stellen im Deutschen Reich und in Österreich-Ungarn über den bürokratisch geplanten Massenmord Bescheid.
Nach armenischer Darstellung starben ab dem 24. April 1915 bei der Verfolgung und Vertreibung der Armenier auf dem Gebiet der heutigen Türkei bis zu 1,5 Millionen Armenier im Zuge einer gezielten Vernichtungskampagne. Betroffen waren zudem Aramäer und Griechen. Die Türkei spricht entgegen der Ansicht der meisten Historiker dagegen von 300.000 bis 500.000 getöteten Armeniern und ebenso vielen Toten aufseiten der Türken bei bürgerkriegsartigen Kämpfen und Hungersnöten.