Trotz der starren Haltung der Türkei hält EU-Parlamentspräsident Martin Schulz die Verhandlungen über Visumfreiheit nicht für gescheitert. Einen Durchbruch konnte der deutsche SPD-Politiker am Donnerstag in Ankara allerdings nicht erzielen. Eine Änderung der türkischen Anti-Terror-Gesetze - die aus Sicht der EU Voraussetzung für die Visumfreiheit ist - lehnte Ministerpräsident Binali Yildirim ab.
"Zum jetzigen Zeitpunkt bewegt sich aufgrund der Differenzen, die wir haben, in dieser Frage nichts", räumte Schulz nach einem Treffen mit Yildirim ein. Die Reform der türkischen Anti-Terror-Gesetze sei zwar ein "Grundkriterium". Er fügte aber hinzu: "Ich glaube nicht, dass es am Ende scheitern muss, sondern dass es die Chance gibt, über die abgemachten Vereinbarungen nachzudenken."
Yildirim sagte, aufgrund der aktuellen Umstände in der Türkei könne es keine Lockerungen beim Anti-Terror-Gesetz geben. Die Türkei kämpfe derzeit gegen mehrere Terrororganisationen. "Für uns geht es hier um Leben und Tod." Er sei sich aber mit Schulz darin einig, dass man in der Frage weiter im Gespräch bleiben müsse.
Türkei muss Kriterien erfüllen
Das Europaparlament will nicht über eine Visumfreiheit beraten, solange die Regierung in Ankara nicht alle vereinbarten Kriterien erfüllt. Eine der wenigen noch offenen Bedingungen ist die Änderung der Terrorgesetze, bei denen die EU befürchtet, dass sie gegen Regierungskritiker missbraucht werden könnten.
Die türkische Regierung hat gedroht, ohne Visumfreiheit das Flüchtlingsabkommen mit der EU platzen zu lassen. Die Visumfreiheit war im Rahmen des Flüchtlingspaktes ursprünglich bis Ende Juni angestrebt worden, wenn die Türkei alle Bedingungen erfüllt. Nun erwartet die Türkei eine Aufhebung der Visumspflicht bis Oktober.
Die Europäische Union hatte im März mit der Türkei ein Abkommen zum Stopp der über das Mittelmeer eintreffenden Flüchtlinge geschlossen. Darin verpflichtet sich Ankara, Flüchtlinge, die auf irregulärem Weg von ihrem Staatsgebiet nach Griechenland gelangen, wieder zurückzunehmen. Für jeden in die Türkei zurückgebrachten syrischen Flüchtling will die EU einen Flüchtling aus dem Land aufnehmen. Die Türkei soll außerdem Milliarden Euro als Hilfe für die Flüchtlinge auf seinem Territorium sowie Visafreiheit für seine Staatsbürger erhalten.
Schulz und - unabhängig von ihm - Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos waren die ersten Spitzenvertreter der EU, die Ankara seit dem Putschversuch in der Türkei Mitte Juli besuchten. Damit sollten die Spannungen zwischen der EU und der Türkei entschärft werden. Avramopoulos betonte: "Die EU ist ein Schlüsselpartner der Türkei, und die Türkei ist ein Schlüsselpartner der EU."
"Wir sind uns schon einmal näher gestanden"
Schulz sagte nach einem Treffen mit Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu: "Wir waren uns einig, dass die Türkei und die Europäische Union sich schon einmal näher standen, als das heute der Fall ist." Kilicdaroglu von der Mitte-Links-Partei CHP und er seien sich aber einig gewesen über die Notwendigkeit, "offen über unterschiedliche Positionen zu reden, um aus dieser Offenheit Gemeinsamkeiten zu entwickeln, die uns wieder näher zusammenbringen."
Schulz wollte am Abend im Präsidentenpalast in Ankara mit Staatschef Recep Tayyip Erdogan zusammenkommen. In der Vergangenheit hatte Schulz heftige Kritik an dem türkischen Präsidenten geübt. Nach der von Erdogan betriebenen Aufhebung der Immunität vieler türkischen Parlamentarier hatte Schulz ihm im Mai vorgeworfen, eine "Ein-Mann-Herrschaft" zementieren zu wollen.
Nach dem Putschversuch nahmen die schon davor erheblichen Spannungen zwischen der EU und der Türkei noch einmal zu. Zahlreiche EU-Politiker verdächtigten Erdogan, sich beim Vorgehen gegen mutmaßliche Unterstützer des gescheiterten Umsturzes nicht an die Menschenrechte und rechtsstaatliche Standards zu halten. Ankara weist das zurück. Die türkische Regierung warf der EU ihrerseits mangelnde Solidarität nach dem Putschversuch vor.